Urknall-Gravitationswellen Trommeln gegen die Kritik

Das Bicep2-Teleskop am Südpol

(Foto: REUTERS)

Gravitationswellen vom Urknall? Im März klang es, als sei der Nobelpreis so gut wie sicher. Nun zeigt sich die Fachwelt befremdet: Wieder einmal haben Forscher vorschnell eine Sensation versprochen.

Von Patrick Illinger

Mikrowellen aus der ersten Millisekunde des Universums. Diese Nachricht hatte im vergangenen März einen Riesenwirbel ausgelöst, nicht nur in der Fachwelt. Sofort war vom Nobelpreis die Rede, von einer neuen Ära der Kosmologie. Endlich schien es eine Erklärung dafür zu geben, warum die Sterne und Galaxien in den Weiten des Alls recht gleichförmig verteilt sind. Es muss ein gewaltiger Ruck gewesen sein, mit dem sich der Kosmos Sekundenbruchteile nach dem Urknall ausgedehnt hat, um das Fundament des heutigen Universums zu bilden. Daten eines Experiments am Südpol namens Bicep2 schienen diese zuvor theoretisch formulierte Entstehungsgeschichte in die Realität zu katapultieren.

Seither hat die Meldung viel von ihrem Glanz verloren. Ein "seltenes Beispiel wissenschaftlichen Vorgehens" nennt die New York Times, was in der Folge geschah. Und das ist wohl untertrieben. So selten scheint dieser Ablauf, bei dem zunächst die Öffentlichkeit informiert und dann mit der Fachwelt diskutiert wird, nicht mehr zu sein. Konkurrierende Forscher begannen jedenfalls nach der Ankündigung vom März, teils wohl nicht ohne Missgunst, die Ergebnisse auseinanderzunehmen. Damit prallten sie wiederum auf ein beträchtliches Beharrungsvermögen der Bicep2-Mitwirkenden.

Diese Auseinandersetzung an sich könnte man noch als Teil des in der Forschung unumgänglichen Erkenntnisprozesses ansehen, schließlich sollten jede Messung und jede Theorie möglichst umfassend auf ihre Plausibilität geprüft werden. Wäre da nicht der große Auftritt am Anfang gewesen. Und die Tatsache, dass die Fachveröffentlichung jetzt, vier Monate nach dem großen Auftritt, erschien.

Überlichtschnelle Neutrinos und Arsen fressende Mikroben nur peinliche Enten

Nun schließen leitende Wissenschaftler der Bicep2-Gruppe nicht mehr aus, dass bei ihren Ergebnissen der Einfluss von Staub in der Milchstraße unterschätzt wurde. Plötzlich verweist man sogar auf künftige Daten eines konkurrierenden Experiments, den Satelliten namens Planck, der die Angelegenheit klären könnte. Genau dieses Experiment wollte man zuvor mit den Daten vom Südpol unbedingt überholen. Üble Erinnerungen werden nun wach an das Frühjahr 2012, als sich die Nachricht überlichtschneller Neutrinos als physikalische Prachtente erwies.

Sicher, der Vergleich der Bicep2-Daten mit dieser handfesten Fehlmessung ist einerseits unfair. Die Signale vom Urknall könnte es durchaus geben, und die Daten des Südpol-Detektors sind weiterhin ernst zu nehmen. Aber, so sagen es nun Theoretiker, man könne daraus keine Folgerungen für die Entstehung des Kosmos ableiten. Und auch in der Wissenschaft gilt: Die Fallhöhe einer Nachricht hängt davon ab, mit wie viel Pomp sie anfangs vorgetragen wurde. Dass offenbar wichtige Betrachtungen unterlassen wurden, legt einen dunklen Schatten über die Bicep2-Messungen. Ein Schatten, der zumindest den Nobelpreis in weite Ferne rückt.

Offenbar trachten auch Spitzenforscher in der Physik zunehmend nach öffentlichem Ruhm, statt die kritische Würdigung der Fachwelt zu durchlaufen. Sogar höchst angesehene Wissenschaftsorganisationen laufen Gefahr, dieser Verlockung zu erliegen. Das Forschungszentrum Cern stellte sich seinerzeit gefährlich nahe hinter die überlichtschnellen Neutrinos. Die Bicep2-Messungen wurden in Harvard verkündet. Und 2010 waren es Astrobiologen der Nasa, die eine Quatschmeldung über eine neuartige, Arsen fressende Lebensform publik machten.

Es kann aber nicht im Interesse der Wissenschaft liegen, mit der Öffentlichkeit eine Liaison anzustreben, wie sie Hollywood mit der Klatschpresse unterhält, wo die zeitnahe Widerlegung jeder Nachricht zum Geschäft gehört. Nein, die Wissenschaft muss publik machen, wie Wissenschaft funktioniert. Dazu gehört eben das kritische Hinterfragen, aber keinesfalls das vorschnelle Trommeln. Wer sich nämlich beim Trommeln öfter vertut, der wird irgendwann grundsätzlich hinterfragt. Am Ende auch von einer Öffentlichkeit, die letztlich das Geld bereitstellt - auch für Detektoren am Südpol.