Straubinger, 19.08.2005
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OFFENSIVE STARTEN
VON HANKO WESTERMANN

Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme liegen seit mehreren Jahrzehnten auf dem Tisch. Helmut Kohl hat sie nicht gelöst, Gerhard Schröder, sein Nachfolger im Kanzleramt, auch nicht. Kann nach einem nach wie vor möglichen Wahlsieg Angela Merkel die Fehlentwicklungen der letzten Dekaden ausbügeln und Deutschland auf einen soliden und langen Wachstumspfad zurückführen?

Die Ausgangslage für die Umsetzung einer "Agenda Merkel" ist denkbar schlecht. Die Metall- und Elektroindustrie meldet jetzt über 130000 Jobverluste seit 2001. Der Bauindustrie, die in einer Dekade mehr als 600000 Stellen verloren hat, wird nach Angaben des ifs-Städtebauinstituts noch weiter schrumpfen, wenn die Eigenheimzulage total wegfällt.

Nicht minder alarmierend ist der Bericht des Statistischen Bundesamtes: Im zweiten Quartal ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 136 000 gesunken. Das Hartz-Programm ist vom Ansatz her falsch. Es versetzt dem eh schon große Not leidenden Sozialwesen (auch dem nach vielen "Gesundheitsreformen" noch mit Systemfehlern behafteten gesetzlichen Krankenkassensystem) einen schweren Schlag. Hartz-Ombudsmann Kurt Biedenkopf räumt ein, dass das Programm auch die gefährlich werdende Rentenkrise weiter verschärft. Biedenkopf wirkt ratlos, wenn er nun mehr Niedriglohnjobs fordert. Nie gehört, was Möbelpacker, Reinigungskräfte, Kurierfahrer, Hilfsarbeiter verdienen? Noch weniger Kaufkraft ist keine Lösung.

Mit dem bloßen Herumdoktern an Symptomen kommt dieses Land nicht aus der Misere heraus. Wie damals in der Ära des "Wirtschaftswunders" nach dem Krieg so sind auch heute keine defensiven Vorhaben gefragt. Der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer ruft deshalb mit Blick auf die längst überfällige neue "Vision D" zu einer "Offensive" für Arbeit und Wirtschaftskraft auf. Notwendig ist eine Stärkung der Wettbewerbswirtschaft.

Es muss endlich Schluss sein mit der Überregulierung durch den boomenden bürokratischen Lenkungsstaat, der etwa der Chemieindustrie und den forschenden Arzneimittelherstellern immer mehr Fesseln anlegt. Die fälligen Reformentscheidungen sind nach den Wahlen aus ordnungspolitischen Prinzipien heraus zu entwickeln - wie damals in der Zeit Ludwig Erhards.

 

Mittelbayerische Zeitung, 19.08.2005
Aufschwung naht, aber
Weiter kaum neue Jobs

BERLIN (ap). Nach der Stagnation im zweiten Quartal sehen Bundesregierung und Bankenverband Signale für einen konjunkturellen Aufschwung in den kommenden Monaten. Die Konjunkturindikatoren deuteten darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Dynamik im zweiten Halbjahr beschleunige, so das Wirtschaftsministerium gestern.

Der Bundesverband deutscher Banken erklärte, Auftragseingang und Stimmungsindikatoren ließen eine Besserung erwarten. Im Konjunkturbericht für August hieß es, Wachstumsstütze werde der Export bleiben. Es gebe auch Anzeichen für eine Erholung der Binnenkonjunktur.

Eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt ist laut Bankenverband noch nicht in Sicht. Dank mehr Ich-AGs gibt es zwar einen schwachen Beschäftigungszuwachs. Die Zunahme der Erwerbstätigen hat sich im zweiten Quartal jedoch abgeschwächt auf nunmehr 30 000 Personen.

Schlechte Nachrichten von der Metall- und Elektroindustrie: Dort beschleunigte sich der Stellenabbau. Seit Jahresbeginn gingen rund 35 000 Jobs verloren. Positiv entwickelten sich dagegen Produktion und Auftragseingang.

 

Straubinger, 17.08.2005
ELTERNGELD REICHT NICHT
VON KAI ALTENHOF

Junge Leute, die Kinder haben, geraten leicht an die Armutsgrenze, denn sie bekommen vom Staat zu wenig Unterstützung. Daran würde auch das von Renate Schmidt favorisierte Elterngeld nicht viel ändern - ganz davon abgesehen, daß die Finanzierung fraglich ist. Nötig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf insgesamt verbessert.

Dazu gehört nicht nur finanzielle Hilfe, sondern auch ein ausreichendes Betreuungsangebot. Obwohl es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt, suchen viele junge Eltern lange und allzu oft vergeblich. Weil es zu wenige Plätze in Kindergärten, Kinderkrippen und Kindertagesstätten gibt, schließen sich immer mehr Mütter und Väter zusammen, um eigene Einrichtungen zu gründen.

Andere Länder machen es vor: In Frankreich gibt es individuellere Betreuungsangebote und bessere Möglichkeiten für Frauen, Teilzeit zu arbeiten. In Schweden wird eher Wert auf den Ausbau staatlicher Betreuungsangebote und die Förderung der Vollerwerbstätigkeit der Mütter gelegt. Egal wie: Es funktioniert. Deutschland hat nicht ohne Grund die niedrigste Geburtenrate in Europa.

Außerdem hat die Politik den Trend zu anderen Familienformen verschlafen. Das klassische Modell von Vater, Mutter, Kind, bei dem der Mann für das Auskommen seiner Familie sorgt, ist zwar immer noch vorherrschend. Doch die Zahl der so genannten Ein-Eltern-Haushalte nimmt zu. Und die sind auf ausreichende Betreuungsangebote und eine angemessene staatliche Unterstützung besonders angewiesen.

Und das Argument, daß in den öffentlichen Etats Ebbe herrscht, ist schnell widerlegt. Wenn der Staat beispielsweise das Kindergeld einkommensabhängig zahlen würde, wären mehr Mittel da. Beim Kinderzuschlag war es ja auch möglich. Auch eine Reform des Ehegattensplittings sollte kein Tabu sein, um die finanzielle Situation der Familien zu verbessern.

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