Straubinger, 15.Jan.2005

Leitartikel

Zurück zur Baustelle

VON DR. HANS M. GÖTZL

Ein "Jahr der Entschlossenheit, des Reformeifers und des Tatendrangs" soll 2005 werden. So tönt es aus den Klausurtagungen und Strategiesitzungen von Rot-Grün. Optimismus pur ist angesagt und der Bundeskanzler geht mit gutem Beispiel voran. Wie schon bei der Oderflut versteht er es auch jetzt bei der Tsunami-Apokalypse, sich mediengerecht als Mann der Tat ins rechte Licht zu setzen. Als Meister der Stimmungsmache weiß er, dass nicht so sehr die Wirklichkeit über das Schicksal seiner Regierung entscheidet, sondern das Bild, das sich die Bürgerinnen und Bürger über sie macht.

Einige Faktoren sprechen dabei durchaus für ihn. Die Protestwelle gegen Hartz IV, eine der härtesten Sozialreformen der Republik, ist weitgehend abgeklungen. Das komplizierte Mautsystem, vor einem Jahr noch wegen der zahlreichen Pannen mit dem Geruch der nationalen Schande behaftet, läuft bislang nicht nur reibungslos, es könnte sich auch noch zum Exportschlager entwickeln.

Selbst das Wirtschaftswachstum des abgelaufenen Jahres von real 1,7 Prozent gibt nach dreijähriger Stagnation wieder Anlass zur Hoffnung. Da sich nun auch die Umfragewerte für die im Vorjahr arg gebeutelten Sozialdemokraten aufhellen und auch die Popularitätskurve des Kanzlers wieder steigt, scheint dieser schon wieder übermütig zu werden. Nur so ist zu verstehen, dass er erneut gezielt gegen die Union stichelt, provokativ verkünden lässt, dass sich Edmund Stoiber "in einer Mischung aus noch nicht verarbeiteter Niederlage und brennendem Ehrgeiz bereits als Kanzlerkandidat für 2006 warmläuft".

Keine Frage, Schröder genießt den Augenblick. Ja, man hat den Eindruck, als wolle er diesen schönen Moment bis zur nächsten -Bundestagswahl 'konservieren. Deshalb sollen weitere harte Reformen erst einmal auf die lange Bank geschoben werden. Allenfalls für fern am Horizont aufdämmernde Parteitage soll das eine oder andere Vorhaben noch abgesegnet werden. "Nur nicht das Volk erneut verprellen. Es fühlt sich ohnedies wie nach einem Zahnarztbesuch", so seine Devise.

Dabei wären aber weitere Wurzelbehandlungen dringend nötig. Auch so mancher "faule Zahn" müsste dringend gezogen werden, bevor die eiternde Entzündung weiter um sich greift. Anstatt also mit der verlockenden Hängematte zu kokettieren, müsste die Rückkehr zu den Baustellen der Republik das Gebot der Stunde sein. Dies schon deshalb, weil nicht wenige Erfolgsmeldungen der rot-grünen Regierung ohnedies nur schöngefärbt sind. So bedeutet das Anziehen der Konjunktur noch keineswegs den Durchbruch, wie von den Genossen lautstark hinausposaunt wird. Die Wachstumsziffer täuscht vielmehr nur über die tatsächliche wirtschaftliche Lage hinweg. Im weltweiten und auch im europäischen Vergleich gehören wir nach wie vor zu den Ländern mit der schwächsten Entwicklung.

Die 1,7 Prozent Wachstum bleiben auch deutlich unter der Beschäftigungsschwelle von 2 bis 2,5 Prozent, ab der erst neue Arbeitsplätze entstehen. Und hätte es den Exportboom - immerhin nahm die Ausfuhr um knapp zehn Prozent zu - nicht gegeben, wäre es für die Konjunktur hier zu Lande weiterhin zappenduster geblieben. Die private Inlandsnachfrage dümpelt nämlich weiterhin nur vor sich hin. Auch für das laufende Jahr sieht es nicht rosig aus. Die Forschungsinstitute rechnen bereits mit weniger als einem Prozent. Da auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erneut um fast eine halbe Million weiter gesunken ist, schlittern die öffentlichen Haushalte immer tiefer in die Schuldenfalle.

Da hilft auch der Versuch von Finanzminister Hans Eichel nicht weiter, der seine desaströse-Verschuldungspolitik mit einem Vergleich der Nettokreditaufnahme von Theo Waigel im Jahr 1996 relativierte, um so in einem besseren Licht zu erscheinen. Eichel hat nämlich die grundsätzlich verankerte Verschuldungsgrenze bereits um über 60 Prozent verfehlt, Waigel damals um etwas über 28 Prozent. Alarmierend kommt hinzu, dass der Finanzminister im dritten Jahr in Folge den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzt.

Selbst die von ihren Befürwortern viel gepriesene Hartz IV-Reform wird keine Wunder bewirken können. Das Gesetz verheißt zwar Bewegung und Aufbruch, doch es ist fraglich, ob es die Erwartungen auch nur annähernd erfüllen kann. Die Reform wird schon deshalb ein Torso bleiben, weil sie nur auf die Angebotsseite setzt, die rot-grüne Regierung dagegen nichts unternimmt, dass die Unternehmer auch mehr Leute einstellen. Hätte man schlicht die Leistungen gekürzt, wäre wahrscheinlich das gleiche Ergebnis erreicht worden. Nicht von ungefähr beginnt sich daher der Kanzler von diesem Mammut-Projekt, das auch zu einem Mentalitätswechsel führen soll, zu distanzieren, schiebt schon einmal vorsichtshalber die alleinige Verantwortung Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zu.

Man muss kein unpatriotischer Miesmacher sein, wenn man an dieser Stelle auch darauf hinweist, dass trotz Agenda 2010 Deutschland noch immer ein von staatlicher Reglementierung gefesselter ökonomischer Riese ist. Dabei ist es nicht nur der Kündigungsschutz, der die Firmen plagt. Je mehr Stellen ein Unternehmen in Deutschland schafft, desto dicker wird der Katalog an kostentreibenden Auflagen. Dadurch werden vor allem Kleinere und Mittlere drangsaliert. Offenbar hat man in Berlin vergessen, dass aber gerade der Mittelstand der Motor des Arbeitsmarktes ist. Immerhin stellt er knapp zwei Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Zwar gibt es seit zwei Jahren den Masterplan "Bürokratieabbau", jedoch auch dessen Bilanz ist vernichtend. Statt weniger Regelungsdichte verkündet Rot-Grün ständig neue Gesetze und Rechtsverordnungen, wobei der neue Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes nun wirklich dem Fass den Boden ausschlägt. Hier sind einfach engstirnige Ideologen am Werk, die offensichtlich von Wirtschaft keine Ahnung haben.

Zu dieser Spezies gehören auch jene Grünen, die unter dem Deckmantel des Umweltschutzes die Abschaffung von Sonderregeln für das Produzierende Gewerbe, eine Erhöhung der Lkw-Maut und das Ende der Pendlerpauschale fordern. Mit ihren notorischen Attacken gegen das Autofahren und mit ihrer ökologischen Finanzreform verunsichern sie nicht nur die Pendler und Spediteure, sondern verspielen auch noch den Rest an Zukunftschancen unseres Landes. Man sollte sie schleunigst von den Baustellen abziehen, bevor sie noch mehr Unheil anrichten. Gefragt sind dagegen Experten, die endlich die so dringend erforderlichen strukturellen Reformen im Arbeitsrecht, im Steuer- und Gesundheitsrecht und in den sozialen Sicherungssystemen in Angriff nehmen. Bundespräsident Horst Köhler wäre so ein Mann. Jedoch er darf dort nicht arbeiten, sondern den Verantwortlichen nur mahnend ins Gewissen reden. Dies macht er jedoch so überzeugend, dass Hoffnung auf Besserung aufkeimt.