Forschung: Werkstoff für jede Anwendung neu justieren - neuer Maschinenpark darf nicht vorausgesetzt werden

Chemikalien aus Bioraffinerien verlassen die Nische
VDI nachrichten, Potsdam, 5. 8. 05 -

Erdöl ist der Lebensquell der chemischen Industrie. Etwa 90 000 verschiedene Chemikalien werden daraus gefertigt. Im Alltag sind Erdölprodukte allgegenwärtig. Doch ganz allmählich erhalten sie Konkurrenz aus der Bio-Szene.

Dass es im Prinzip auch ohne Erdöl geht, haben Jugend-forscht-Preisträger bereits vor Jahren vorgemacht. Sie präsentierten stolz eine klarsichtige, bioabbaubare Folie aus Pflanzenmaterial. Zwar handelt auch die chemische Industrie mit Produkten, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren - etwa mit einigen Kunststoffen, mit Zusätzen in Waschmitteln, Kosmetika, Farben, Lacken, Klebstoffen oder sogar Arzneimitteln. Dennoch wird das große Geld seit eh und je mit Erdölchemikalien verdient.

Das aber soll sich mit so genannten Bioraffinerien ändern. "Wir müssen möglichst viele Produkte für alle Lebensbereiche aufbauen", urteilt Birgit Kamm, Leiterin des Forschungsinstituts Biopos bei Potsdam. "Nur so kann es eine Bioraffinerie mit einer herkömmlichen Raffinerie auf Basis von Erdöl aufnehmen."

Erste Ansätze solcher Fabriken gibt es bereits. Die Südzucker AG stellt zum Beispiel in einer neuen Anlage neben Haushaltszucker auch den Biotreibstoff Ethanol und ein Futtermittel her.

Die USA betreiben rudimentäre Bioraffinerien bereits seit Jahren. Eine darunter ist die Anlage der Firma Nature-Works in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota. Dort verarbeiten Myriaden von Bakterien Mais zu Milchsäure. Die Säure wird Cremes und Lotionen zugemischt, die die Haut straffen sollen. Milchsäure entkalkt Haushaltsgeräte und konserviert Lebensmittel. Doch lässt sich die Säure auch in Dutzend weitere Chemikalien umwandeln.

Das wichtigste Folgeprodukt ist der bioabbaubare Kunststoff Polymilchsäure, kurz PI-A. Als Faser gelangt es neuerdings unter dem Namen "Ingeo" in T-Shirts oder bauscht als Wattierung Kissen und Bettdecken auf. Weil der Stoff besonders saugfähig und atmungsaktiv ist, ließ der deutsche Textilkonzern Salewa aus PLA 15000 bioabbaubare Shirts weben. Versace schneidert aus dem neuen Material einen Teil der Winterkollektion.

"Bioraffinerie-Produkte müssen Verbrauchern allerdings auch einen Mehrwert bieten. Denn sie sind noch deutlich teurer als auf Erdöl basierende Massenkunststoffe wie PP oder PE", so Görge Deerberg vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT), Oberhausen.

Interessierte Kunden gibt es immerhin schon. Die Firma Logotape möchte ein biologisch abbaubares Klebeband auf Basis von PLA herstellen. Andere suchen nach kompostierbaren Tragetaschen und Wegwerfgeschirr. Auch die Elektronikindustrie will Bio-Kunststoffe beispielsweise für Handys einsetzen.

"Für jede Anwendung müssen die Eigenschaften des Werkstoffes justiert werden. Schließlich will kein Betrieb seinen Maschinenpark umstellen, nur weil ein neuer Kunststoff ins Haus kommt", meint Deerberg, dessen Institut bei dieser Aufgabe hilft. Auch klassische Chemieunternehmen wie Degussa und BASF forschen nach wirtschaftlichen Anwendungen für Stoffe aus der Bioraffinerie.

In den USA pumpt die Regierung jährlich 500 Mio. $ in die Forschung, um den Anlagen auf die Beine zu helfen, hier seien es rund 30 Mio. £/Jahr. Das Bundesforschungsministerium hat jedoch jüngst ein Innovationsforum für Bioraffinerien ins Leben gerufen, aus dem Förderprojekte hervorgehen sollen. S. DONNER/ber

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