Straubinger,Landshuter, 30.Oktober 2004

Schatten über dem Freudentag

EU-Verfassungsgipfel von Streit um Kommission beherrscht - Berlusconi unfreiwilliger Akteur

Die Kulisse hätte prächtiger nicht sein können. Mitten in Rom, im Saal des Konservatorenpalasts auf dem Kapitolplatz, unterzeichneten die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag die erste Europäische Verfassung. "Ich finde, man kann sich schon freuen", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dem historischen Ereignis an historischer Stätte, "auch wenn der eine er andere Schatten über diesem Tag liegt". Damit spielte der Kanzler den Streit um die neue EU-Komission an.

Denn die EU wäre nicht die EU, wenn selbst an vermeintlichen Freudentagen nicht über irgendeinen Streit zu beraten wäre. Und der platzte nach dem Paukenschlag im europäischen Parlament vom Mittwoch mitten in die Feierlichkeiten hinein. Ironischerweise spielte der Gastgeber und italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi dabei eine der Hauptrollen. Denn es war sein Kandidat, der den Machtkampf zwischen dem Parlament und dem neuen Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso verursacht hatte.

Dazu passte, dass der streitbare designierte EU-Justiz- und Innenkommissar Rocco Buttiglione als noch amtierender italienischer Europaminister an der Zeremonie teilnahm. So musste Berlusconi zähneknirchend hinnehmen, dass nicht alles an diesem Tag nach dem Motto "bella figura" verlief. Dabei hatte der Italiener das Spektakel gewohnt perfekt inszenieren lassen.

Von Anfang an hatte Berlusconi darauf gedrungen, dass die EU-Verfassung in Rom unterzeichnet werden sollte. Als Ort wählte er den Saal, in dem die Staats- und Regierunschefs von Italien, Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg 1957 die Römischen Verträgezur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterschrieben hatten. Das Ereignis gilt als Geburtsstunde der heutigen Europäischen Union.

Bei der Zeremonie setzte die Regie Berlusconi perfekt in Szene, so als wäre es der italienische Ministerpräsident gewesen, dem die Verfassung zu verdanken wäre. Ein Blick zurück offenbart das Gegenteil. Denn als Ratspräsident im zweiten Halbjahr 2003 schaffte es Berlusconi nicht, einen Kompromiss der Staats- und Regierungschefs herbeizuführen. Im Gegenteil:Der Verfassungsgipfel im Dezember 2003 scheiterte, die Fronten waren verhärtet.

Erst Berlusconis Nachfolger als Ratspräsident, der irische Regierungschef Bertie Ahern, schaffte es mit einigem Verhandlungsgeschick, die 25 Mitgliedstaaten unter einen Hut zu bekommen. Im Juni dieses Jahres kam der Durchbruch, die erste europäische Verfassung war geboren. Ahern durfte bei der Zeremonie am Freitag immerhin reden. Eine besondere Würdigung des Iren war im Drehbuch Berlusconis aber nicht vorgesehen.

Nur der Streit um die EU-Kommission störte die Inszenierung. Das Thema schwebte über den heiligen Hallen wie der Geist der römischen Geschichte. Schon am Donnerstag-abend war Barroso mit dem amtierenden EU-Ratsvorsitzenden und niederländischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende zusammengekommen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.Balkenende ist allerdings kein neutraler Vermittler, denn auch die niederländische Kandidatin für das Amt des Wettbewerbskommissars Neelie Kroes, ist umstritten. Gleiches gilt für die Dänin Else Mariann Fischer Boel, die Lettin Ingrida Udre und den Ungarn Laszlo Kovacs. Insofern musste Barroso zunächst mit den Regierungschefs der fünf betroffenen Länder konferieren. Berlusco bewegte sich zunächst nicht. Auch der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen schloss ein Abdanken Fischer Boels aus.

Nach einem Mittagessen im Anschluss an die zur feierliche Stunde wollten die Staats- und Regierungschefs in kleinem Kreis über den Streit beraten, wie es hieß. Dass es dabei schon zu neuen Erkenntnissen kommen würde, wurde ausgeschlossen. Als wahrscheinlich galt, dass Barosso nach seinen Gesprächen in Rom eine neue Liste erstellen und den Staats- und Regierungschefs beim regulären Herbstgipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel vorlegen würde. Eine kleine Lösung - das bloße Austauschen Buttigliones gegen einen neuen Kandidaten - galt jedenfalls als ausgeschlossen. Berlusconi, so war zu hören, werde das Scheitern von Barrosos erstem Team im Europäischen Parlament kaum allein auf seine Schultern nehmen wollen.Alexander Ratz, AP

Kernpunkte der neuen Verfassung

GRUNDLAGEN:Die Einleitung beginnt mit den Worten: "Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas..." Ein Gottesbezug fehlt.

INSTITUTIONEN:An der Spitze der EU stehen künftig drei Personen: Der Kommissionspräsident, der Außenminister und der Präsident des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs. Dessen Amtszeit dauert nicht mehr nur sechs Monate, sondern zweieinhalb Jahre und kann einmal verlängert werden.

PARLAMENT:Das Europaparlament erhält mehr Kompetenzen. Im Regelfall entscheidet es bei der europäischen Gesetzgebung mit. Auch bei der Wahl des Kommissionspräsidenten müssen die Mehrheitsverhältnisse im Parlament berücksichtigt werden.

KOMMISSION:Bis 2014 wird jedes Land weiter einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Zur Steigerung der Effizienz wird dann die Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der EU-Länder reduziert mit einer echten Rotation. Das heißt, jedes Land ist nach zwei Amtsperioden für fünf Jahre nicht in Brüssel vertreten.

ABSTIMMUNGSVERFAHREN:

Es gilt künftig die "doppelte Mehrheit ": Ein Beschluss auf der Grundlage eines Vorschlags der EU-Kommission wird gefasst, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten oder mehr, mindestens aber 15 Länder zustimmen. Diese müssen außerdem mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Mindestens vier Länder sind nötig, um einen Beschluss zu blockieren.

VETO-RECHT:Es gibt mehr Politikbereiche, in denen mit Mehrheit entschieden werden kann. Das Veto-Recht gilt aber weiter für die Steuerpolitik, weitgehend auch für die Außen- und Sicherheitspolitik.

AUSSENMINISTER:Der Außenminister übernimmt die Aufgaben des außenpolitischen Beauftragten des EU-Rats und des EU-Kommissars für Außenbeziehungen ("Doppelhut"). Er ist auch Vizepräsident der Kommission und leitet einen diplomatischen Dienst der EU.

AUSTRITT:Jeder Mitgliedstaat kann aus der Union auch wieder austreten.

 

Wetter: Berufsverbot für Christen

München. (E.B.) Zur Auseinandersetzung um die Kandidatur des italienischen Politikers Rocco Buttiglione für das Amt des EU-Kommissars für Justiz gab der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, folgende Erklärung ab: "Die Auseinandersetzung bekommt immer mehr eine alarmierende Ausrichtung. Obgleich der bekennende katholische Christ Buttiglione deutlich gemacht hat, dass er zwischen seiner persönlichen Moralvorstellung und geltendem Recht sehr genau zu unterscheiden wisse, wird ihm gerade wegen seiner persönlichen, auf der Lehre der katholischen Kirche beruhenden Moralvorstellung die Eignung für ein wichtiges Amt in der Europäischen Union abgesprochen.Der Vorgang ist alarmierend, weil er einer Art Berufsverbot für katholische Christen gleichkommt. Die Kirche respektiert die weltanschauliche Neutralität des Staates, aber sie kann nicht hinnehmen, dass von Politikern verlangt wird, sie müssten ihre christliche Grundhaltung und ihr Bekenntnis verbergen oder gar verleugnen, wenn sie eine verantwortungsvolle politische Aufgabe übernehmen wollen. Ich protestiere daher nachdrücklich gegen diesen im Gewand von Liberalität und Toleranz inszenierten Kulturkampf. Offensichtlich wäre es nicht einmal mehr den überzeugten und christlich geprägten Gründervätern eines einigen Europa, Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alice De Gasperi, möglich, heute EU-Kommissar zu werden."

"Europa ist demokratischer geworden"

Von Manfred Weber, Mitglied des Europäischen Parlaments

Das Europaparlament hat vergangenen Mittwoch den Personalvorschlag für die neue EU-Kommission abgeschmettert. Damit wurde Geschichte geschrieben. Erstmals hat das EU-Parlament Zähne gezeigt und von fast allen Seiten Lob und Anerkennung erhalten. Applaus und Jubel bei den Parlamentariern nach der Ankündigung des designierten Kommissionspräsidenten Barroso, seine Mannschaft zurückzuziehen. Lange Gesichter bei den Vertretern der Regierungschefs. Das Parlament hat sich durchgesetzt. Europa ist demokratisch, es ist erwachsen geworden. Wie kam es dazu?

Bisher hatte sich ein festes Verfahren eingespielt. Blair, Schröder, Chirac und die anderen Regierungschefs setzten sich zusammen und verteilten die wichtigen Posten. Doch schon bei der Wahl des Kornmissionspräsidenten, sozusagen dem EU-Regierungschef, war alles anders. Eigentlich wollten die Regierungschefs der 25 Mitgliedsstaaten einen linksliberalen Politiker ins Spitzenamt heben. Allerdings hatte die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die CSU gehört, die Europawahlen am 13. Juni gewonnen. Sollte wegen dieses Wahlergebnisses, dann nicht auch ein Christdemokrat an die Spitze der EU-Kommission? Die EVP hat sich durchgesetzt. Barroso, ein Christdemokrat aus Portugal, wurde Kommissionspräsident. Nächster Schritt war die Bildung der EU-Kommission. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten nominierten aber zum Teil Personen, die weder die Fachkompetenz, noch die Erfahrung für diesen Spitzenjob mitbringen: Aus Ungarn ein Exkommunist, der die Niederschlagung des Prager Frühlings gutheißt, eine niederländische Kandidatin für das Wettbewerbsressort, die selbst in diversen Aufsichtsräten saß und immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert wird. Noch vor wenigen Jahren hätte man diese Mannschaft durchgewunken, da sie der Vorschlag der Regierungschefs war. Im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stand aber der Katholik Buttiglione wegen umstrittener Äußerungen. Die Glaubensüberzeugungen eines Katholiken dürfen in einem toleranten Europa aber nicht zum Amtshindernis werden. Doch jetzt geht es nicht mehr um Buttiglione, es geht um die gesamte Mannschaft. Stehen die besten Frauen und Männer an der Spitze Europas, oder siegt der Postenschacher? Barroso hat kurz vor der Abstimmung im Parlament die Notbremse gezogen und seine Mannschaft zurückgezogen. Er hat damit das frei gewählte Parlament Europas respektiert. Europa ist mit diesem Tag demokratischer geworden. Die Bürger wissen nun, dass ihre Stimme bei der Europawahl auch Wirkung hat. Das Europaparlament hat seine Macht unterstrichen. Wir als Abgeordnete vertreten die Bürgerinnen und Bürger Europas und werden uns dieses Recht auch nicht nehmen lassen.

Die Herausforderungen für eine gute Zukunft Niederbayerns heißen heute Sicherheit vor Organisierter Kriminalität sowie die Sicherung unseres Wohlstandes angesichts Globalisierung und der zunehmenden Überalterung unserer Gesellschaft. Wir brauchen ein einiges Europa, um die Herausforderungen des jungen Jahrhunderts zu meistern. Der EU-Verfassungsvertrag der gestern in Rom unterzeichnet wurde, gibt die Antworten. Ein starkes Europa nach außen, um Sicherheit und Wohlstand zu garantieren, ein föderales Europa nach innen, damit kraftvolle Regionen erhalten bleiben. Der Verfassungsvertrag stärkt das EU-Parlament. Es war eine gute Woche für Europa.

 

Kolumne

Lieber Manfred Weber

Wie dürfen wir denn nun, Herr Europaabgeordneter, Ihre Meinung verstehen? Als ein Hü oder Hott, ein Pro oder Contra, Schwarz oder Weiß, oder einfach als ein wildentschlossenes Jein?

Gewiss sind Sie noch ein rechter Frischling in der weiten Politik, Europa-Parlament in Straßburg, wo das Schaulaufen und Schattenboxen von Abgesandten aus vieler Herren Länder stattfindet.

Andererseits sind Sie auch kein Grünschnabel mehr. Viele Jahre JU-Chef, für die CSU noch im Landtag, bevor es ab ging nach Europa. Dort haben Sie, sapperlot, aber schon ein paar saubere Tricks gelernt (oder haben Sie die aus München mitgebracht, gar abgeschaut von dem einen oder anderen schwarzen Parteifreund?).

Vergangene Woche lobten Sie die EU-Kommission, per Interview und per Pressemitteilung. Besonders für die zwei B.s, den Barroso, Portugal, und den Buttiglione, Italien, schwärmten Sie.

Und jetzt? Tja, wir trauten unseren Augen kaum, jetzt haben Sie denen aber gezeigt, was eine bayerische Harke ist, insbesondere eine schwarz gezinkte.

Großer Tag für Europas Demokratie; Triumph des Parlaments gegen Barroso und Buttiglione; Parlament haut auf den Tisch und zeigt dem Postenschacher die rote Karte - so jubelten Sie nun diese Woche (Ihre Pressemitteilung vom Mittwoch, 27.10., als der Barroso seinen Kommissionsvorschlag, inklusive Rocco Buttiglione, zurückgezogen hatte).

Also, lieber Herr Weber, gewusst hätten wir nun schon gerne, ob Sie die Barroso-Buttiglione-Kommission mögen hätten wollen, sich aber dann doch nicht dürfen getraut haben. Ob Sie hätten dafür sein wollen oder doch lieber dagegen oder ob Sie sich die Sache noch hätten überlegen wollen. Oder ob Sie vielleicht beides hätten sein wollen, dafür und dagegen...

Bei der einen Gelegenheit das eine loben und das andere tadeln, beim nächsten Mal es genau andersherum zu halten, nun ja, bisschen viel Opportunismus auf einen Haufen, nicht?

Nehmen Sie das Beispiel von manchen Politik-Akrobaten, die machen sich ihre Opposition gleich mit, weil ihnen eine Ansicht allein zu langweilig ist, und sie mindestens zwei Meinungen gleichzeitig vertreten wollen (und können).

Zur Nachahmung nicht empfohlen. Wenn Sie immer nur schön und sauber bei der Wahrheit bleiben, kann Ihnen gar nix passieren.

Dass Sie sich also nicht wieder selber umdribbeln und Ihnen die wahre und klare Entscheidung Rückpass oder Torschuss - etwas leichter fällt (womöglich sollten Sie öfter trainieren) wünscht Ihnen herzlichst Ihr

Bernhard Stuhlfelner

 

Straubinger, 19.Nov 2004

EU-Kommission: Weber unter Vorbehalt dafür

Straubing/Brüssel. (ta) Der niederbayerische CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber hat nach eigenen Angaben am Donnerstag der neuen EU-Kommission "trotz Bedenken" zugestimmt. In seiner zusätzlichen Stimmerklärung, die im Sitzungsprotokoll niedergeschrieben wurde, gab Weber seine Enttäuschung über den Rückzug des italienischen Kommissions-Kandidaten Rocco Buttiglione zum Ausdruck.

Weber: "Das positive Bild von einem christlich geprägten Europa ist durch die Hetze der Linken im EP beschädigt worden. Für mich als Christ bleibt ein schlechter Nachgeschmack. Ich hätte mir gewünscht, dass Buttiglione weiter Kandidat bleibt." Es dürfe nicht sein, dass ein Katholik nicht Kommissar werden könne, nur weil er zu seinen Überzeugungen stehe.

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