Mittelbayerische Zeitung, 12.Jan2005

Job-Angst: Immer mehr Paare wollen keine Kinder
Umfrage: Familien fühlen sich von der Gesellschaft ausgegrenzt

BERLIN (dpa/ap). Rund 40 Prozent der kinderlosen Paare zwischen 18 und 49 Jahren verzichten aus Sorge um ihre berufliche Zukunft auf Nachwuchs. Das geht aus einer gestern in Berlin veröffentlichten Umfrage der Zeitschrift "Eltern" hervor.

"Dieses Ergebnis ist für uns eine Überraschung", sagte "Eltern"-Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki. Demnach sei nicht immer das fehlende Geld die Ursache für eine Entscheidung gegen Kinder. 44 Prozent der befragten Kinderlosen fehlt ein richtiger Partner zur Familiengründung, ein Drittel der Befragten möchte lieber unabhängig bleiben.

Lewicki wertete das Ergebnis als Zeichen dafür, dass viele junge Menschen Angst vor der Übernahme der Verantwortung hätten, die mit Partnerschaft und Familiengründung einher gehe. Hinzu komme, dass Kinder in den Medien oft nicht nur als Armutsrisiko, sondern auch als soziales Problem dargestellt würden - etwa bei Fernsehserien wie "Super Nanny", in denen die "Familie als horrormäßiger Sozialfall" erscheine. Erschwerend kommt hinzu, dass der Umfrage zufolge sogar 75 Prozent der Kinderlosen das Klima in Deutschland als kinderfeindlich empfinden.

Diesen Eindruck bestätigen die befragten Eltern: Fast die Hälfte der Familien berichtete, dass ihre Kinder in Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Restaurants oft als störend empfunden werden. Noch gravierender sind der Umfrage zufolge die Probleme am Arbeitsplatz: Rund 50 Prozent der Eltern klagten über verständnislose Chefs, wenn es um Überstunden geht. 29 Prozent waren der Ansicht, dass sie langsamer Karriere machen als kinderlose Kollegen. 42 Prozent der berufstätigen Mütter empfinden Kinder als klare "Karrierehemmer".

Ganz oben auf der Wunschliste der Eltern stehen eine kinderfreundlichere Gesellschaft (77 Prozent), günstigere Preise für Familien (92 Prozent), mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat (85 Prozent) und die Anerkennung der Erziehungsleistung (77 Prozent). Für mehr Kinderbetreuungsplätze plädieren 38 Prozent. "Die Ergebnisse zeigen deutlich, in unserem Land muss einiges geschehen, damit Familien mit Kindern wieder das Gefühl bekommen, willkommen zu sein", erklärte Lewicki.

Jede dritte Frau bleibt kinderlos

In einer weiteren Studie, der Familienanalyse 2005, untersuchte das Institut für Demoskopie in Allensbach die Lebenssituation junger Eltern. Einer der Hauptgründe für die niedrige Geburtenrate in Deutschland sei, dass das Durchschnittsalter von Erstgebärenden auf 29,3 Jahre angestiegen sei, sagte Expertin Renate Köcher. Damit werde das Zeitfenster für weitere Kinder immer kleiner. Insgesamt bleibt in Deutschland mittlerweile jede dritte Frau kinderlos.

 

Glücklich ohne Kinder?
VON GERD OTTO, MZ gotto@mz.donau.de

In den sechziger Jahren musste man sich schief anschauen lassen, wenn man in diese "schlechteste aller Welten" Kinder setzen wollte. Heute ist dieser ideologische Ansatz zwar weitgehend verschwunden, doch der Zeitgeist weht nicht minder kinderfeindlich durch die deutsche Gesellschaft. Ob im Armutsbericht der Bundesregierung, in einschlägigen Untersuchungen diverser Forschungsinstitute oder aber als Ergebnis von Befragungen der Betroffenen - ein Tenor zieht sich wie ein roter Faden durch das innenpolitische Szenario dieser Republik: Am "ärmsten" sind unsere Kinder dran!

Wörtlich genommen bedeutet dies, dass die Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu den am stärksten von Armut bedrohten Gruppen gehören. Nicht weniger als 1,5 Millionen von ihnen leben, auf Sozialhilfeniveau, was sich auch durch den seit Jahresbeginn gewährten Kinderzuschlag nicht grundsätzlich ändern dürfte. Vor allem aber ist es der "familiäre Teufelskreis", der uns alarmieren müsste. Jugendliche aus sozial schwachen Haushalten sind jedenfalls einem weit höheren Risiko ausgesetzt, später ebenfalls in die gesellschaftliche Armut abzugleiten. Die Konsequenz: Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer - dabei waren gerade die Deutschen stets besonders stolz auf ihre in jeder Beziehung mittelständischen Strukturen.

Mit dieser Balance, dieser Ausgewogenheit, die uns erst den historisch einmaligen Wohlstand bescherte, scheint es nun vorbei zu sein. Schlimmer noch: Die Deutschen merken diese Schieflage offenbar gar nicht, sie fühlen sich sogar wohl mit ihr! "Glücklich ohne Kinder", wie gestern die neueste Studie eines Meinungsforschungsinstituts zur Befindlichkeit von uns Erwachsenen überschrieben wurde, klingt jedenfalls nicht nur hartherzig. Diese offensichtlich zum Ausdruck gebrachte Zufriedenheit ist auch dumm. Wenn schon nicht aus emotionalen Gründen, so sollten wir wenigstens Vernunft genug besitzen, in unseren Kindern die eigene Zukunft zu sehen.

Gegenwärtig tun wir alles, um jeder Form des Generationenvertrags die Grundlage zu entziehen. Natürlich reicht der finanzielle Ansatz längst nicht aus, doch mit "Steuerfreiheit für Großfamilien" zu beginnen, wäre doch schon mal was. Parallel dazu freilich muss endlich auch gesellschaftspolitisch wieder diskutiert werden.

Mittelbayerische Zeitung, Mittwoch, 12. Januar 2005
Auslaufmodell Familie:
Die Misere der Kinderlosigkeit
Geburten gehen dramatisch zurück / Laute Klage über Kinderfeindlichkeit /
Experten wollen Eltern entlasten

VON STEFANIE ZENKE, DPA

BERLIN. Kinder gelten als die schönste Sache der Welt - trotzdem gibt es in Deutschland immer weniger. Die durchschnittliche Kinderzahl sinkt seit Jahren dramatisch. "Heute liegt sie auf einem Niveau, bei dem jede neue Generation rund ein Drittel kleiner ist als die letzte, besonders deutlich seit 1965", sagt der Volkswirt Martin Werding vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München. Im Auftrag der Zeitschriften "Eltern" und "Eltern for family" haben der Sozialpolitik-Experte und das forsa-Institut nach Gründen für die Misere gesucht und Vorschläge für eine kinderfreundliche Steuer- und Finanzpolitik gemacht. Unter dem Schlagwort "Mehr Kinder. Mehr Leben." präsentierten sie ihre Ergebnisse gestern in Berlin.

Nach einer repräsentativen Umfrage des Berliner forsa-Instituts im Auftrag der Zeitschrift "Eltern" verzichten rund 40 Prozent der 349 befragten kinderlosen Frauen und Männer aus Unsicherheit über ihre berufliche Zukunft auf Nachwuchs. 44 Prozent der 18- bis 49-Jährigen ohne Kinder fehlt der richtige Partner zur Familiengründung, bei 34 Prozent der Befragten stehen der Verlust der persönlichen Unabhängigkeit sowie höhere Kosten (29 Prozent) im Vordergrund. Selbst 75 Prozent der Kinderlosen empfinden laut Umfrage das Klima in Deutschland als kinderfeindlich. In Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants würden Kinder oft als störend empfunden. Auch in manchen Unternehmen, klagt die Hälfte der 1186 Befragten mit Kindern, hätten es Eltern schwer. Viele Chefs reagierten mit Unverständnis, wenn es um Überstunden gehe. Für 42 Prozent der Mütter sind Kinder schlichtweg "Karrierehemmer". Vor allem Akademikerinnen fühlen sich durch Kinder oft im Job benachteiligt. "Es ist in Deutschland nicht sexy, Kinder zu haben", sagt "Eltern"-Chefredakteurin MarieLuise Lewicki. "Deshalb brauchen wir nicht nur Krippen und Ganztagsschulen für Familien, sondern einen gesellschaftlichen Aufbruch. "Familien, so die Chefredakteurin, müssten wieder das Gefühl vermittelt werden, mit ihren Kindern in Deutschland willkommen zu sein. "Erforderlich sind Korrekturen im Steuerrecht und ein langfristig angelegter Umbau des Rentensystems", sagt ifo-Experte Werding. Als Beispiel nennt der Volkswirt unter anderem die Anerkennung der Kinderbetreuungskosten. Derzeit können berufstätige Eltern bis zu 1500 Euro als außergewöhnliche Belastung von ihrer Steuerschuld abziehen, weitere 1500 Euro werden pauschal anerkannt. Die realen Kosten betragen nach ifo-Angaben oft mindestens 4000 Euro.

Um junge Familien noch mehr finanziell entlasten zu können, schlägt "Eltern" vor, den Kinderfreibetrag von 3648 Euro langfristig auf das Existenzminimum eines Erwachsenen - derzeit 7664 Euro - anzuheben. "Eine Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern müsste dann kaum noch Steuern zahlen", sagte Lewicki. Als Alternative zur Anpassung des Kinderfreibetrags empfiehlt das ifo Institut ein Familiensplitting nach französischem Vorbild: Dort wird das zu versteuernde Einkommen rechnerisch gleichmäßig auf alle Familienmitglieder verteilt - und nicht wie in Deutschland üblich nur auf die Ehegatten. Mit jedem Kind würde danach die Steuerlast kleiner.

 

12.Jan 2005

Fehlender Partner oft Hauptgrund bei der Entscheidung gegen Kinder
Überraschende Ergebnisse bei Umfrage zum Rückgang der Geburtenrate

Berlin. (AP/dpa) Die wichtigsten Gründe für den Verzicht auf Kinder sind in Deutschland das Fehlen eines Partners und eine generelle Zufriedenheit mit einem Leben ohne Familie. Das ist das überraschende Ergebnis einer Umfrage des forsa-Instituts, die die Zeitschrift "Eltern" am Dienstag vorstellte.

Danach haben persönliche Gründe bei der Entscheidung gegen ein Kind mehr Gewicht als wirtschaftliche Ängste. So erklärten je 44 Prozent der befragten Kinderlosen, sie könnten sich im Moment nicht vorstellen, ein Kind zu bekommen, weil sie keinen geeigneten Partner hätten und auch so mit ihrem Leben zufrieden seien.

39 Prozent begründeten ihren Verzicht mit Angst um den Arbeitsplatz, 34 Prozent mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit und 29 Prozent mit den Kosten, die ein Kind verursacht.

Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki wertete dasErgebnis als Zeichen dafür, dass viele junge Menschen Angst vor der Übernahme der Verantwortung hätten, die mit Partnerschaft und Familiengründung einhergehe. Hinzu komme, dass Kinder in den Medien oft nur als Armutsrisiko, sondern auch als soziales Problem dargestellt würden - etwa bei Fernsehserien, in denen "Familie als horror-mäßiger Sozialfall" erscheine. Erschwerend kommt hinzu, dass der Umfrage zufolge sogar 75 Prozent der Kinderlosen das Klima in Deutschland als kinderfeindlich empfinden. Diesen Eindruck bestätigen die befragten Eltern: Fast die Hälfte der Familien berichtete, dass ihre Kinder in Geschäften, Verkehrsmitteln oder Restaurants oft als störend empfunden werden.

Noch gravierender sind laut Umfrage Probleme am Arbeitsplatz: 50 Prozent der Eltern klagten über verständnislose Chefs, wenn es um Überstunden geht. 42 Prozent der berufstätigen Mütter empfinden Kinder als "Karrierehemmer".

Ganz oben auf der Wunschliste der Eltern stehen eine kinderfreundlichere Gesellschaft (77 Prozent), günstigere Preise für Familien (92 Prozent), mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat (85 Prozent) und die Anerkennung der Erziehungsleistung (77 Prozent). Für mehr Kinderbetreuungsplätze plädieren 38 Prozent. "Die Ergebnisse zeigen deutlich, in unserem Land muss einiges geschehen, damit Familien mit Kindern wieder das Gefühl bekommen, willkommen zu sein", erklärte Lewicki.

In einer weiteren Studie untersuchte das Institut für Demoskopie in Allensbach die Situation junger Eltern. Einer der Hauptgründe für die niedrige Geburtenrate sei, dass das Durchschnittsalter von Erstgebärenden auf 29,3 Jahre angestiegen sei, sagte Expertin Renate Köcher. Damit werde das Zeitfenster für weitere Kinder immer kleiner. Insgesamt bleibt in Deutschland jede dritte Frau kinderlos.

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