Straubinger, 15.Nov 2004

Gesundheitsstreit:Union einigt sich auf Kompromiss

109 Euro Pauschale für jeden Versicherten vorgesehen

Berlin. (dpa/AP) Nach mehr als einem Jahr quälender Auseinandersetzungen haben die Spitzen von CDU und CSU ihren Streit über eine langfristige Gesundheitsreform beigelegt. CDU-Chefin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber verständigten sich am Sonntagabend nach sechswöchigen Verhandlungen abschließend auf einen Kompromiss. Merkel und Stoiber wollen ihre gemeinsame Linie zur Einführung einer Gesundheitsprämie am heutigen Montag in Berlin vorstellen.

Danach soll jeder Versicherte eine Krankenkassenpauschale von 109 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Zusätzlich sollen die Kassen weitere 60 Euro je Versichertem erhalten. Der Zuschuss von 60 Euro soll aus dem Arbeitgeberanteil von 6,5 Prozent finanziert werden und über eine Clearingstelle an die Kassen fließen. Auch der Solidärausgleich für Geringverdiener soll aus diesem Topf finanziert werden. Nach den bereits feststehenden Eckdaten des Kompromisses sollen alle mit weniger als 1400 Euro Einkommen einen Zuschuss erhalten.

Stoiber hatte am Samstag erstmals öffentlich Zustimmung signalisiert, dass zumindest ein Teil der notwendigen sozialen Abfederung des Prämienmodells aus Steuern finanziert wird. Der bayerische Regierungschef akzeptierte, dass der Spitzensteuersatz nicht wie von der Union nach einem Regierungswechsel geplant auf 36, sondern lediglich auf 39 Prozent gesenkt wird.

In den Parteien war aber klar, dass diese Maßnahme allein nicht zur kompletten Gegenfinanzierung des Sozialausgleichs ausreichen wird. Allein die Kinderkomponente schlägt im Jahr mit 15 Milliarden Euro zu Buche. Die Senkung der Steuersätze würde aber nur sieben Milliarden bringen, hieß es.

16.Nov 2004

Seehofer erwägt Rücktritt von all seinen Funktionen

Protest gegen Gesundheitskompromiss von CDU und CSU - Entscheidung in nächsten Tagen erwartet - Massive Ablehnung des Konzepts durch Politik, Wirtschaft und Kassen

München. (AP/dpa) Der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer erwägt, sich aus Protest gegen den Gesundheitskompromiss der Union von allen politischen Ämtern zurückzuziehen. Während der CSU-Vorstand das Konzept am Montag in München absegnete, verließ Seehofer die Parteizentrale vorzeitig und sichtlich aufgewühlt. Dabei kündigte er an, er müsse jetzt über seine weiteren Schritte nachdenken. Auch bei Politik, Wirtschaft und Krankenkassen stößt das Konzept auf massive Ablehnung.

"Das ist vielleicht die schwierigste Entscheidung meiner politischen Karriere", sagte der frühere Bundesgesundheitsminister. "Lassen Sie mir Zeit zum Luftholen und Nachdenken. " CSU-Chef Edmund Stoiber betonte, dass "eine hervorragende Sache" nicht allein von Personen abhänge. "Ich habe für alles Verständnis", sagte Stoiber. "Wir werden sehen, wie er sich entscheidet."

Seehofer ist stellvertretender CSU-Chef und einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag. In dieser Funktion ist er für die Sozialpolitik zuständig. Er ist seit langem ein erklärter Gegner des CDU-Konzepts einer Kopfpauschale, die er als ungerecht ablehnt. Bereits am Sonntagabend hatte Stoiber in einem Gespräch versucht, ihm den Kompromiss zu vermitteln. Danach hatte Seehofer erklärt, er sei sehr aufgewühlt und müsse noch einmal eine Nacht darüber schlafen. Seehofer erklärte, er sei nur bis Freitagnachmittag in die Gespräche eingebunden gewesen. Die letzten Verhandlungen hatten Stoiber und CDU-Chefin Angela Merkel geführt.

Landtagspräsident Alois Glück sagte nach der Vorstandssitzung, Seehofer habe Kritik an Einzelpunkten des Gesundheitskompromisses geübt und wolle seine Position in den nächsten Tagen klären. "Es ist eine Frage, in welchen Strukturen gegebenenfalls die Weiterarbeit möglich ist", sagte Glück. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sagte:" Ich hoffe jedenfalls, Horst Seehofer trägt das nach einer Überlegungszeit mit."

An der Sitzung des CSU-Vorstands nahm Seehofer nicht teil, wie Generalsekretär Markus Söder berichtete. Der Gesundheitsexperte hatte unmittelbar vor der Sitzung mit Stoiber und anderen gesprochen. Stoiber sagte, der Vorstand habe den Kompromiss sehr einmütig gebilligt und unterstützt. "Ich gehe davon aus, dass CSU und CDU jetzt in dieser Frage eine sehr geschlossene Haltung haben", erklärte der Parteichef.

Mit dem Reformkonzept wollen Merkel und Stoiber die Krankenkassen stabilisieren und einen Beitrag zur Schaffung von mehr Wachstum und Arbeitsplätzen leisten. Das Prämienmodell soll im Bundestagswahlkampf dem rot-grünen Projekt der .Bürgerversicherung entgegengestellt werden. Nach der Einigung soll jeder Versicherte eine Krankenkassenpauschale von 109 Euro monatlich bezahlen. Zusätzlich sollen die Kassen weitere 60 Euro je Versichertem vom Arbeitgeber erhalten, so dass bei den Kassen eine einheitliche Gesundheitsprämie von 169 Euro ankommt.

Stoiber und Merkel zeigten sich zufrieden mit dem Kompromiss. Merkel sagte, die Verständigung mit der CSU sei unumkehrbar und weise in die richtige Richtung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) warf der Union Regierungsunfähigkeit vor. Merkel und Stoiber könnten mit solchen Vorschlägen vielleicht in einem Bierzelt Erfolg haben. Die Freidemokraten würden das Konzept nicht akzeptieren, kündigte FDP-Vizechef Andreas Pinkwart an: "Sowas wird mit uns nicht vereinbar sein." Auch Parteichef Gudio Westerwelle lehnte das Konzept ab.

Auch die Krankenkassen reagierten mit einem Nein: Aus Sicht der Barmer muss der monatliche Betrag jährlich steigen und kann nicht für alle Kassen gleichmäßig gelten.

Ablehnung kam auch vom CDU-Wirtschaftsrat. "Dieser Kompromiss und die sozialistische Bürgerversicherung haben eines gemeinsam: Sie setzen beide erneut das untaugliche Modell der Umlagenfinanzierung ,jung zahlt für alt' fort", sagte ihr Chef Kurt Lauk. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte das Modell "völlig inakzeptabel" und einen" äußerst faulen Kompromiss". Mittwoch, 17. November 2004

"Entscheidend ist, was am Ende herauskommt"

Interview mit CSU-Generalsekretär Markus Söder

Herr Generalsekretär, sind Sie mit dem öffentlichen Echo auf den Unionskompromiß zur Gesundheitsreform zufrieden?

Söder:Entscheidend ist, was am Ende herauskommt. Nach dem langen Diskussionsprozess haben wir ein sehr gutes Ergebnis, das mehrere Grundprinzipien verwirklicht:Erstens eine niedrige Prämie für soziale Gerechtigkeit.Zweitens:Eine zukunftsfähige und solide Finanzierung für die nachhaltige Sanierung des Gesundheitssystems. Und drittens positive Effekte für den Arbeitsmarkt durch die Begrenzung der Lohnnebenkosten.

Irritiert es Sie nicht, dass überhaupt kein Beifall dafür aufgekommen ist, sondern nur Kritik?

Söder:Aus der Union gab es sehr große Unterstützung. Dass SPD und Grüne unser Konzept ablehnen, wundert mich nicht. Denn rot-grün hat selbst nur ein hastig hingeschmiertes Papier zur so genannten Bürgerversicherung, die ja nicht einmal im Ansatz durchgerechnet ist. Die anderen Stimmen von Gewerkschaften oder Arbeitgebern vertreten jeweils deren spezifische Positionen. Es ist aber nicht Aufgabe der Politik, Interessenssprachrohr nur einer einzelnen Gruppe zu sein.

Wie kann es denn sein, dass jeder besser dran sein soll als vorher und das Ganze trotzdem finanzierbar ist?

Söder:Wir setzen auf eine Ausgabenbegrenzung im Gesundheitswesen. Dadurch, dass die persönliche Prämie bei allen Kasse ankommt, wird auch der Wettbewerb unter den Krankenkassen gefördert. Dieser Wettbewerb ist die Grundlage für Ausgabenbegrenzung. Anders bei der Bürgerversicherung, die als eine Art sozialistischer Volkskasse überhaut keinen Wettbewerb vorsieht. Da führt mittel- und langfristig zu steigenden Ausgaben. Bei unserem Konzept beteiligen sich auch diejenigen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, an der Gesundheitsfürsorge des Landes. Dadurch, dass die Kosten für die Mitversicherung der Kinder aus Steuermitteln finanziert und so auf alle Generationen umgelegt sind.

Ist nicht die Haltung Ihres Gesundheitsexperten Horst Seehofer, der über den Rückzug aus allen Ämter nachdenkt, eigentlich das vernichtendste Urteil für die Unions- Gesundheitsreform?

Söder:Horst Seehofer hat bis zum Schluss mitverhandelt. Große Teile des Kompromisses tragen auch seine Handschrift. Mit ein, zwei Einzelpunkten hat er Probleme. Wie er damit umgeht, muss er jetzt selbst entscheiden. Der Parteivorstand war einstimmig der Auffassung, dass die Union ein richtungsweisendes Konzept auf den Weg gebracht hat.Wie ausgeprägt sind denn die Bemühungen der Parteispitze, Seehofer erneut einzufangen?Söder:Ich persönlich schätze Horst Seehofer sehr - sowohl menschlich als auch fachlich. Wie es für ihn weitergeht, liegt allein an ihm.

Wie muss man es verstehen, wenn der Parteivorsitzende Stoiber in dem Zusammenhang feststellt, eine "hervorragende Sache hängt nicht an Personen"?

Söder: Wir müssen verdeutlichen, was für die Zukunft unseres Landes wichtig und notwendig ist. Wir wollen Spitzenmedizin für alle gewährleisten - jetzt und für die kommenden Generationen. Die Sache ist überzeugend und sie steht für sich.

Kann man aus dieser Äußerung auch herauslesen, dass der Parteivorsitzende die Geduld mit Seehofer verloren hat?

Söder: Stoiber hat damit deutlich gemacht, dass es ihm so wie dem gesamten Parteivorstand der CSU auf die Sache ankommt. Wenn auch die CDU diese Reform billigt, ist klar, dass es dazu keine Alternative gibt. Ralf Müller

18.Nov 2004

Auf dem CSU-Parteitag droht offener Streit

Seehofers Zukunft ist weiter unklar - Wirtschaftsweise sind für eine "Bürgerpauschale"

Berlin/München. (dpa/AP) Kurz vor dem CSU-Parteitag an diesem Wochenende haben sich die Fronten im parteiinternen Streit um den Gesundheitskompromiss mit der CDU verhärtet. Der CSU-Arbeitnehmerflügel (CSA) bekräftigte am Mittwoch seine Ablehnung des Kompromisses und erneuerte die Unterstützung für seinen Vorsitzenden Horst Seehofer. In der CSU wuchs derweil die Erwartung, dass sich Seehofer trotz seiner Ablehnung des Kompromisses am heutigen Donnerstag doch nicht von allen politischen Führungsämtern zurückziehen könnte.

CSU-Chef Edmund Stoiber will sich nicht mehr in die Rücktrittsüberlegungen seines Stellvertreters Horst Seehofer einmischen. Er habe gut mit Seehofer zusammen gearbeitet und wolle das auch weiterhin tun, sagte Stoiber am Mittwoch dem Bayerischen Rundfunk. Er habe zuletzt am Dienstagabend mit Seehofer gesprochen. "Ich will auch gar nicht mehr weiter Druck auf ihn ausüben. " Stoiber betonte, er selbst müsse sich letzten Endes nach dem Willen der Partei richten.

In Hinblick auf Seehofer wird in der Partei davon ausgegangen, dass der ehemalige Bundesgesundheitsminister seinen Posten als stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion aufgibt, das Amt des CSU-Vize aber behält. Damit würde Seehofer deutlich machen, dass er weiter gegen die Linie der CDU in der Gesundheitspolitik ist, aber gleichzeitig noch zur CSU steht, hieß es. Für möglich wurde aber auch gehalten, Seehofer könne nur seine Zuständigkeit für Gesundheit abgeben.

CDU-Chefin Angela Merkel erneuerte ihren Appell an Seehofer, das Modell mitzutragen. "Ich wünsche mir und erwarte auch, dass der stellvertretende CSU-Vorsitzende diese Vereinbarung zwischen CDU und CSU vertritt", sagte Merkel in einem Interview. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens rief Seehofer zum Einlenken auf: "Man kann nicht immer mit dem Kopf durch die Wand."Die fünf Wirtschaftsweisen haben derweil sowohl die rot-grüne Bürgerversicherung als auch die Gesundheitsprämie der Union scharf kritisiert. Für eine zukunftsfähige Krankenversicherung müssten beide Modelle zu einer "Bürgerpauschale" verknüpft werden, forderte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten am Mittwoch in Berlin.

Das CDU/CSU-Konzept sei unübersichtlich und seine Finanzierung zweifelhaft. "Von einer Umsetzung ist abzuraten", sagte der Ratsvorsitzende Wolfgang Wiegard. Auf der anderen Seite sei die von SPD und Grünen geplante Bürgerversicherung ein Beschäftigungshindernis, weil die Lohnkosten weiterhin mit den Gesundheitskosten stiegen. Die Professoren schlagen vor, Krankenkassen und private Krankenversicherung zu vereinen und von jedem Erwachsenen eine einheitliche Pauschale von 198 Euro im Monat zu verlangen. Der Arbeitgeberanteil solle an die Arbeitnehmer ausgezahlt und versteuert werden. Wer mehr als 13 Prozent seines Einkommens für die Pauschale zahlen müsste, bekäme einen staatlichen Zuschuss. Dieser könne mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden.

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