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Landshuter/Straubinger, Samstag, 20.Dez 2003 POLITIK

LEITARTIKEL MENETEKEL FRANKREICH

VON FRIDOLIN M. RÜB

In Frankreich dürfen muslimisehe Schülerinnen künftig kein Kopftuch mehr tragen. Staatspräsident Jacques Chirac hat am Mittwoch mit der Ankündigung eines Verbots "auffälliger religiöser Symbole" den Streit um islamische Kopftücher an den Schulen entschieden. Er folgte damit den Empfehlungen einer von ihm im Juli eingesetzten Kommission von 20 "Weisen". In einer Grundsatzrede vor 400 ausgewählten Gästen verwies der Präsident darauf, dass die Trennung von Kirche und Staat ein "Grundpfeiler der Republik" sei und er fuhr fort, es sei nicht hinnehmbar, wenn unter "dem Deckmantel der religiösen Freiheit" die Gesetze und die Prinzipien der laizistischen Republik in Frage gestellt würden. Mit seiner Entscheidung versucht Chirac einen Streit zu beenden, der die französische Gesellschaft seit anderthalb Jahrzehnten beschäftigt und der zum Symbol für den Umgang mit der sich radikalisierenden islamischen Minderheit geworden ist. Der Islam ist nach dem Christentum zweitgrößte Religion in Frankreich.

Untersagt werden in Zukunft neben dem islamischen Kopftuch auch große christliche Kreuze und jüdische Kippas. Allgemein wird das Verbot jedoch als ein "Gesetz gegen das Kopftuch" wahrgenommen. Seitdem die "Weisen" am Donnerstag vergangener Woche ihren Bericht präsentiert haben, ist eine heftige Debatte um dessen Auswirkungen entbrannt. Die großen Parteien sind für eine gesetzliche Regelung, ebenso wie, nach mehreren Umfragen, die Mehrheit der Franzosen und der muslimischen Frauen.

Dagegen lehnen der Rat der Christlichen Kirchen Frankreichs, der Französische Rat der islamischen Religion und jüdische Organisationen ein Gesetz ab.

Die Diskussion über die Neutralität des Staates in Glaubensfragen hat sich mittlerweile allerdings in beängstigender Weise auf weitere gesellschaftliche Bereiche ausgeweitet. So gehört die Titulierung "dreckige Franzosen" in den maghrebinischen Vierteln zum Standard-Vokabular jugendlicher Moslems. In den Kliniken lehnen muslimische Frauen die Behandlung durch Ärzte und männliches Personal ab, ihre Ehemänner bedrohen Ärzte und Pfleger, Frauen wollen sich selbst für einen Kaiserschnitt nicht entkleiden. In der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses Hotel-Dieu in Lyon ging ein muslimischer Afrikaner mit einem Messer auf einen Arzt los, weil der seine Frau "angefasst" hatte. In vielen französischen Städten haben islamische Organisationen inzwischen stundenweise Öffnungszeiten der Schwimmbäder nur für Frauen durchgesetzt. Auch die Justiz bleibt von radikal-muslimischen Auftritten nicht verschont. Jugendliche Angeklagte bedrohen Richter und Staatsanwälte ("Dich kriegen wir schon noch") und machen bei der Urteilsverkündung Randale. Und die französische Polizei kann in vielen Getto-Vierteln nicht mehr Streife fahren, ohne mit Steinen und Unrat beworfen zu werden. Razzien lösen regelmäßig kleinere Aufstände aus.

Mit ihrer Empfehlung für ein Kopftuchverbot wollen die "Weisen" die Integration der Einwandererkinder verbessern. Es gelte, der zunehmenden Gettoisierung, dem Nebeneinander von ethnischen und religiösen Gruppen zu begegnen. Der Berichterstatter der Kommission, Remy Schwartz, hatte Frankreich - einem Anteil von acht Prozent Muslimen und einem Prozent Juden - als "muslimischste und jüdischste Nation" Europas zeichnet. Das Gremium empfahl der Regierung die Ausarbeitung einer umfassenden "Charta des Laizismus". Ob damit die von Paris angestrebte Integration gelingen kann, ist indes fraglich. In Frankreich leben über fünf Millionen Muslime, so viel wie in keinem anderen Land Europas.

Es gibt zwar auch muslimische Autoritäten, die, wie der Rektor der Pariser Moschee, Daniel Boubakeur, ihre Glaubensbrüder auffordern, die Gesetze der französischen Republik uneingeschränkt zu respektieren, doch durchzusetzen vermögen sie sich nicht. Wie französische Medien berichten, haben die extremen Muslime anderes im Sinn. Sie fordern vielmehr die Unterordnung der französischen Gesetze unter das islamische Recht, die Einführung der "Scharia". Im Namen Allahs werden zudem von fanatischen jungen Moslems zusehends häufiger Morddrohungen gegen Juden und in letzter Zeit vermehrt auch gegen Christen ausgesprochen.

Chiracs Gesetzesankündigung bedeutet zugleich das Eingeständnis der politischen Klasse Frankreichs, dass die Integration der überwiegend maghrebinischen Muslime auch in der zweiten und dritten Generation misslungen ist. Die Regierung zieht denn auch derzeit eine schonungslose Bilanz der einst hochgelobten französischen Integrationspolitik. "Wir haben die sozialen Probleme der Vorstädte nicht gelöst. Wir haben Gettos geschaffen, und die Gettos bringen Kommunitarismen hervor", gibt Nicole Cherifi, eine hohe Beamtin des Gesundheitsministeriums, zu. Und die Expertenkommission bilanziert: "Die Grundlagen unseres Sozialvertrags werden untergraben."

Die brisante Konfliktlage in Frankreich ist ein Menetekel für Deutschland. Wie sich nun jenseits des Rheins zeigt, ist es falsch, wenn der Staat auf ein erkennbar sich abzeichnendes ernstes Problem zu lange abwartend reagiert und seinen davon betroffenen Bürgern die Nachteile zumutet. . Aber spät handeln ist immer noch besser, als nichts zu tun. Und so stellt sich nun, wie der "Spiegel" schreibt, Frankreich "an die Spitze eines Abwehrkampfes gegen das Vordringen eines militanten Islam, dessen provozierendes Auftrumpfen auch anderswo in Europa zunehmend als 'Aggression' (Chirac) empfunden wird".

Da Deutschland sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert sieht, wären unsere Politiker gut beraten, sich vorrangig um die Integration der mehr als drei Millionen bei uns lebenden Muslime zu kümmem, statt weiter munter Zuwanderungspolitik zu betreiben. Ein Linker, der frühere schulpolitische Sprecher der Alternativen Liste Berlins, Wolfgang Schenk, warnt eindringlich: "Wenn es keine gemeinsamen Regeln mehr in der Gesellschaft gibt, kommt es zur Explosion." Und das muss verhindert werden.

Der wegen des halbherzigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes hierzulande noch nicht ausgestandene Kopftuchstreit ist nur ein Indikator für das zu bewältigende Problemfeld der Religionsfreiheit. Dazu bedarf es aber einiger grundsätzlicher politischer Klärungen. Die Kopftuch-Causa ist dabei nur eines von mehreren Problemen, das die Politiker in die Pflicht nimmt. Es geht in der Sache um die Toleranz gegenüber der religiösen Lebenspraxis nicht-christlicher Religionen. Diese Toleranz kann indes nicht so weit gehen, Symbolen wie dem Kopftuch Eingang in den Staatsdienst zu eröffnen und damit herrschende Wertmaßstäbe herauszufordern. Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten kann überstrapaziert werden, wenn religiöse Symbole politisch instrumentalisiert werden. Das wird zu Konflikten fuhren. Aber besser jetzt, wo sie noch friedlich zu lösen sind!