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Straubinger/Landshuter Z., Samstag, 31. Januar 2004 POLITISCHE LESERBRIEFE

Aufregung um G8 ist unverständlich

Die Aufregung über das achtstufige Gymnasium ist mir einigermaßen unverständlich. Die Aussage"60 Prozent Verminderung" ohne Angabe einer Ausgangsbasis ist offensichtlicher Unsinn. Trotzdem hängen die sich betroffen Fühlenden an dieser nicht definierten und somit gar nicht diskussionsfähigen Zahl auf. Prozentrechnung ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber ihre Grundbegriffe dürften doch der Staatskanzlei, dem Kultusministerium und auch dem Lehrerhäuptling Kraus bekannt sein - oder lässt auch hier schon PISA grüßen? Es ist doch klar, dass mit der ominösen 60-Prozent-Minderung nicht eine lineare Verringerung des Lehrstoffes gemeint ist, denn das entspräche einem Abitur nach 3,6 Jahren Gymnasium (Wunschtraum aller Gymnasiasten!). Vielmehr geht es wohl um das Zurückschneiden des ausgeuferten Detailwissens-Stoffs um 60 Prozent und die Rückbesinnung auf die wesentlichen Grundlagen, insbesondere die Vermittlung der Fähigkeit, sich selbstständig neue Sachverhalte anzueignen und Problemlösungen zu erarbeiten. Selbstverständlich müssen die Grundrechenarten - und noch ein bisschen mehr - weiterhin vollständig vermittelt werden. Aber auf die Behandlung der siebenundzwanzigsten Unterfamilie der Fichtengespinstblattwespen könnte man vielleicht verzichten.

Nach Adam Riese entspricht die Kürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre schlappen 11,11 Prozent. Erfahrungsgemäß weist jede Großorganisation, die älter als ein paar Jahre ist, ein Abspeck-Potenzial in Form überflüssiger Aktivitäten von mindestens 20 Prozent auf. Das gilt ganz besonders für staatliche Monopolbetriebe wie z. B. unser Schulsystem. Das achtjährige Gymnasium ist also realisierbar, und zwar bei gleichbleibenden Anforderungen der Abiturprüfung. Zwei Argumente hierzu. Erstens: Nach meiner Kenntnis schaffen die Abiturienten in der ganzen Welt ihr Pensum in insgesamt zwölf Schuljahren, außer im deutschsprachigen Raum. Laut PISA sind die ausländischen Abiturienten deshalb aber keineswegs dümmer.

Zweitens:Ich konnte seinerzeit das zwölfte Schuljahr (= 8. Gymnasialjahr) an einer amerikanischen High School absolvieren. Das bedeutete für ein Jahr den totalen Ausstieg aus drei Kernfächern - Deutsch, Latein, Griechisch - des humanistischen Gymnasiums. Mathematik erschien aus der Sicht deutscher Bildungsüberheblichkeit auch kritisch, weil damals nach der 8. Gymnasialklasse das Mathe-Abitur abzulegen war. Mathe war dann aber bald kein Thema mehr, weil der in Deutschland zu bewältigende Jahresstoff in meiner High School im ersten Halbjahr erledigt wurde, und das auf einem deutlich höheren Niveau als hierzulande. Das Mathe-Abitur kurz nach dem Wiedereinstieg in Deutschland war denn auch kein Problem. In den Sprachen konnte ich zu meiner eigenen Verwunderung im neunten Gymnasialjahr ohne große Schwierigkeiten da weitermachen und mein Gesamtabitur fiel nicht besser oder schlechter aus, als ich es ohne den USA-Aufenthalt,erwartet hätte.

Wenn es also im Einzelfall möglich ist, in wesentlichen Fächern ein Schuljahr ohne messbaren Qualitätsverlust auszulassen, ohne dass der Lehrplan darauf Rücksicht nahm, muss es auch möglich sein, bei entsprechender Entrümpelung es Lehrplans die Gymnasialzeit ohne Qualitätsverlust generell um ein Jahr zu kürzen. Voraussetzung wäre allerdings ein straff organisierter Schulbetrieb.

Auch hier könnte man sich durchaus am amerikanischen Beispiel orientieren. In meinem Fall begann die Schule etwa um 8.30 Uhr, dann folgten drei Stunden Unterricht mit jeweils sechs oder acht Minuten Pause zwischen den Fächern, dann eine knappe Stunde Mittagspause mit Verpflegungsmöglichkeit in der schuleigenen Cafeteria, nachmittags nochmals drei Stunden Unterricht. Unterrichtsende war etwa 15.30 Uhr, dann zu Hause nochmal zirka zwei Stunden für die reichlich erteilten Hausaufgaben - damit war der Tag leicht bis zum Eintreffen der berufstätigen Familienmitglieder ausgefüllt. Eine besondere Betreuung der Schüler erübrigte sich damit, das hierzulande angeblich so schwierige Problem Ganztagsschule war auf diese Weise ganz nebenbei gelöst. Ferien gab es an Weihnachten und Ostern je eine Woche, große Ferien von Anfang Juli bis Anfang September, Pfingst-, Herbst-, Faschingsferien - Fehlanzeige.

Auch bei uns käme man mit zwölf Schuljahren bzw. acht Jahren Gymnasium aus, wenn man es wirklich wollte. Aber an diesem Willen scheint es zu fehlen, was ich wiederum nicht verstehe, denn schließlich würden die Schüler ein Jahr früher in eine selbstständigere, freiere Lebensphase entlassen, Eltern und Steuerzahler würden finanziell, die geplagte Lehrerschaft stundenmäßig entlastet. Acht Jahre gut organisiertes Gymnasium bringen für alle mehr als neun Jahre überkommenes Weiterwursteln im Halbtagsbetrieb.

Dipl.-Kfm. Johannes A. Eckstein, Adamweg 2, 84036 Landshut