Straubinger, 15.Nov 2004

Wirtschaftsminister: Wir müssen länger arbeiten

Wolfgang Clement: Der Sozialstaat hat keine Reserven mehr - BDI-Präsident Hundt: 35-Stunden-Woche war ein schwerer Fehler - IG Metall lehnt Aufgabe kategorisch ab

Frankfurt/Main. (AP/dpa Die Deutschen sollten aus Sicht von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement früher in den Beruf starten und später in Rente gehen. "Gemessen an der Lebensarbeitszeit arbeiten wir so wenig wie nie zuvor", kritisierte der SPD-Politiker am Sonntag in Tutzing. Von 250 Milliarden Euro im Bundeshaushalt würden derzeit 80 Milliarden Euro für die Rente ausgegeben. "Wir investieren nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit", bemängelte er. Die Arbeitgeber verlangten längere Wochenarbeitszeiten. Dies lehnten die Gewerkschaften kategorisch ab.

Clement führte aus, ein-Lehrling in Deutschland sei beim Eintritt in den Arbeitsmarkt im Schnitt 18,9 Jahre, in Österreich dagegen nur 16 Jahre. Von den über 55-Jährigen arbeiten dem Minister zufolge nur 39 Prozent, in Schweden dagegen rund 60 Prozent. Das gesetzliche Renteneintrittsalter liege zwar bei 65 Jahren, das tatsächliche aber bei 60 Jahren.

Die Frage längerer Lebensarbeitszeiten müsse von den Tarifparteien gelöst werden, sagte Clement. Beim gesetzlichen Renteneintrittsalter müsse zu einem späteren Zeitpunkt über eine Erhöhung auf 67 Jahre nachgedacht werden.

Der Sozialstaat könne sich die umfassende Versorgung von Menschen, die nicht arbeiteten, nicht mehr leisten, warnte Clement. "Wir haben keine Reserven, weil wir in der Vergangenheit allzu oft in die Vollen gegriffen haben." Derzeit würden 2 6 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben.

Für Bildung, Wissenschaft und Forschung bleibe deshalb nicht genügend übrig, sagte der SPD-Politiker.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, verlangte ebenfalls längere Arbeitszeiten. "Wir haben die kürzesten Wochenarbeitszeiten, den längsten Urlaub und eine hohe Zahl von Feiertagen. Diesen Luxus können wir uns auf Dauer nicht leisten", sagte er. Hundt nannte die 35-Stunden-Woche in manchen Branchen einen" der größten tarifpolitischen Fehler, die wir begangen haben". Er plädiere aber nicht für eine generelle Arbeitszeiterhöhung für alle, "sondern für tarifvertraglich festgelegte Korridore, innerhalb derer die Betriebsparteien die Arbeitszeiten festlegen können".

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall forderte für die 3,5 Millionen Beschäftigten eine mehrjährige Nullrunde. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer sagte, nur Nullrunden könnten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sichern.

Der Deutsche-Bank-Chefökonom Norbert Walter regte sogar an, Raucher- und Teepausen vom Gehalt abzuziehen und zur Senkung der Arbeitskosten nur noch "echte Arbeitszeit" zu entlohnen.

Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel wiederum bezeichnete die Debatte über längere Arbeitszeiten zur Konjunkturankurbelung als "abenteuerlich". In der Diskussion werde unterstellt, dass die zur Auslastung der höheren Produktion nötige Nachfrage mitsteigen werde. "Das ist ein schwerer Fehler", sagte Hickel. "Ein Handwerker, der länger arbeitet, hat dadurch nicht mehr Aufträge." Das Hauptproblem vieler Unternehmen sei nicht ein Arbeitskräftemangel, sondern die schwache Nachfrage nach ihren Produkten.

Eine Aufgabe der 35-Stunden-Woehe lehnte der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters indessen kategorisch ab. Zur Forderung nach Verzicht auf einen Feiertag sagte Peters: "Warum sollten wir verzichten in einem der reichsten Länder der Welt?" Den Ruf der Arbeitgeberverbände nach Einschränkung der Mitbestimmung nannte Peters "nicht nur unverfroren, sondern geschichtslos".

"Erbschaftsteuer für Betriebe senken"

München. (AP) Der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser befürchtet bis zu 10000 Betriebsaufgaben bei Familienunternehmen im kommenden Jahr. Der Grund sei, dass die Erben zu hohe Steuerlasten scheuten, sagte der CSU-Politiker. "Die Erben freuen sich über Millionenzahlungen, und in der Region gehen die Arbeitsplätze verloren", warnte Faltlhauser.

Auf bayerische Initiative solle nun über den Bundesrat die Erbschaftssteuer für Betriebe gesenkt werden. Faltlhauser wird den Gesetzesentwurf kommenden Dienstag auf den Kabinettstisch legen. Bayern werde danach im Bundesrat eine Initiative zur "Änderung der Erbschaft- und Schenkungsteuer" starten. Geplant sei eine teilweise Senkung dieser Steuer, die in der Wirtschaft als schwerwiegendes Problem bei Unternehmensnachfolgen gelte.

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