CHEManager 22/2004

Made in Germany
Bildung und Forschung in Deutschland brauchen neue Rahmenbedingungen

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...von der Substanz und hat im internationalen Vergleich an Boden verloren. Nicht weil wir schlechter geworden sind, sondern weil die anderen um so viel besser geworden sind. Heute setzen in vielen Bereichen andere Länder die Maßstäbe und wir haben Mühe zu folgen. Wenn wir die F&E-Indikatoren betrachten, dann gibt es kaum einen, von dem man sagen könnte, Deutschland hat seine Position im letzten Jahrzehnt signifikant verbessert. Alle Analysen weisen in die gleiche Richtung: Wenn Deutschland in der Weltspitze mitspielen und seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme bewältigen will, muss es seine Innovationskraft verbessern.

Bundeskamler Schröder rief Anfang dieses Jahres gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschqft und Wirtschaft die Initiative "Partner für Innovation ins Leber, mit dem Ziel das Innovationssystem Deutschland auf allen Ebenen zu stärken, Hemmnisse abzubauen und neues Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unseres Landes zu wecken". Wie soll das geschehen? Was beinhaltet der 9-Punkte-Plan?

H.-J. Bullinger: Ziel der Innovationsinitiative ist es, Deutschland auf den Gebieten der Hochtechnologie dauerhaft an der Weltspitze zu positionieren und neues Vertrauen in die 'Leistungsfähigkeit unseres Landes zu wecken. Nach zwei Treffen haben sich die "Partner für Innovation" auf einen 9-Punkte-Plan und ein weitreichendes Aktionsprogramm verständigt. Dazu gehören bespielsweise die Schaffung einer Innovationskultur, die Stärkung der Marke "Made in Germany", die Reform der gesamten Bildungskette und die Nachwuchsförderung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Mit dem Papier "Deutschland innovativ" hat die FraunhoferGesellschaft ein Rahmenpapier vorgelegt, das zentrale Handlungsfelder und Aufgabenbereiche für eine nachhaltige Stärkung der Innovationskraft in Deutschland beschreibt. Schließlich wurde ein Innovationsbüro eingerichtet, das die fachliche Arbeit koordiniert. Inzwischen haben zehn interdisziplinär zusammengesetzte Impulskreise ihre Arbeiten aufgenommen. Ziel ist, thematische Horizonte als Blick in die Zukunft und als Blick aus der Zukunft aufzuzeigen, konkrete Pionieraktivitäten auszuarbeiten und Handlungsempfehlungen zu formulieren. Im Frühjahr nächsten Jahres werden erste Ergebnisse vorgestellt werden.

Innovationen Iassen sich nicht verordnen, sie benötigen vielmehr ein kreatives und vor allem auch autonomes Umfeld. Nun muss sich die Wissenschaft in Deutschland aber mit einem dichten Netz von Gesetzen, Vorschriften und Erlassen auseinandersetzen, man denke nur an die Gentechnik oder die Stammzelldebatte, wo vor allem die Risiken, nicht aber die Chancen debattiert werden (??? Wirklich??? Kommentar R.Kiehl) Des Weiteren die viel beklagte Unflexibilität und Überregulierung der Universitäten. Welche Veränderungen bringt die Innovationsinitiative hier?

 

 

 

H.-J.Bullinger: Es ist eines der wichtigsten Ziele der Innovations-Initiative, eine neue Innovationskultur zu erzeugen. Voraussetzung dafür ist, die Hemmnisse zu beseitigen, die uns in der Forschung, aber auch in der Umsetzung von Ideen in der Wirtschaft behindern. Bürokratisierung und Überregulierung ersticken oft jeden neuen Ansatz. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die Innovationen nicht behindern, sondern prämieren. Das deutsche Hochschulsystem steht vor der doppelten Herausforderung, die Qualität sowohl an der Spitze wie auch in der Breite zu steigern. Wettbewerb ist der beste Weg zur Leistungssteigerung - in der Wirtschaft ebenso wie in Bildung und Forschung. In der globalisierten Welt müssen wir uns allerdings an internationalen Standards orientieren. Deshalb müssen wir den Hochschulen und Unternehmen in Deutschland ähnlich gute Startbedingungen geben, wie sie unsere Konkurrenten haben. Wettbewerb setzt aber voraus, dass die Hochschulen selbständig handeln können. Kern einer ganzheitlichen Reformstrategie für die Hochschulen muss daher eine weitreichende Autonomie sein. Die Hochschulen brauchen Freiheit, die besten Studenten auszuwählen, die besten Professoren zu verpflichten und zusätzliche Mittel einzunehmen. Dann entsteht ein Qualitäts-Regelkreis, der die erfolgreichen Hochschulen noch besser macht.

Roland Berger sagte einmal: "Schwach sind wir in den neuen Hightech-Sektoren Grundig und Sony sind etwa zur selben Zeit und mit vergleichbaren Produkten gegründet worden. Grundig ging Pleite, während Sony weltweit 62 Mrd. US-$ Jahresumsatz macht." Wie kommt das und wie können wir hier wieder aufholen?

H.-J. Bullinger: Richtig ist an diesem Vergleich, dass wir es in Deutschland versäumt haben, massiv in neue Technologien zu investieren - die Wirtschaft ebenso wie der Staat. Wenn wir längere Zeit nur mittelmäßig in Forschung investieren, werden wir auch nur mittelmäßige Ergebnisse bekommen. Während andere Industriestaaten wie Schweden, USA und Japan in den vergangenen Jahren ihre Forschungsausgaben konsequent gesteigert haben, bleibt Deutschland mit 2,5 % Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt deutlich hinter den fahrenden Nationen zurück. Die EU hat sich das hohe Ziel gesteckt, bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten und innovativsten Wirtschaftsregion der Welt zu werden und bis dahin die Forschungsausgaben auf 3 % des BIP zu erhöhen. Wenn das erreicht werden soll, müssten die Forschungsausgaben jährlich um 7 bis 8 % gesteigert werden.

Nun macht Geld allein noch nicht leistungsfähiger. Wir müssen auch die Forschung effizienter gestalten, besser vernetzen, auf Schwerpunkte fokussieren und Cluster mit einer kritischen Masse bilden.

Den Universitäten werden die Mittel gekürzt, für die start-ups steht kaum noch Wagniskapital zur Verfügung. Von Risikobereitschaft - einer Grundvoraussetzung für Innovationen - kann keine Rede sein. Bietet der Standort Deutschland den Kreativen in Wissenschaft und Industrie überhaupt die Möglichkeit Innovationen umzusetzen?

H.-J. Bullinger: Aflerdings - und hier sprechen Sie ein oft vernachlässigtes Thema an - ist Innovation immer mit einem Risiko verbunden. Und in einer risikoaversen Gesellschaft ist es sehr schwer, Neues durchzusetzen. So ist eine immobile Sicherheits-Gesellschaft entstanden, die in Immobilien statt in Zukunftstechnologien investiert. Wir haben in Deutschland zwar immer noch viele Ideen, aber oft fehlt den Erfindern und Forschern die Möglichkeit, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen. Und vielen Unternehmen ist der Mut abhanden gekommen, neue Märkte zu erschließen. Denn häufig gelingt es den deutschen Unternehmen nicht, Ideen so schnell in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umzusetzen wie den Konkurrenten aus den USA oder Asien. Die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft hat in den letzten Jahren abgenommen. Besonders besorgniserregend ist, dass über die Hälfte aller Unternehmen auf stagnierenden oder schrumpfenden Märkten tätig sind. Viele Vorstände verfolgen neue Marktentwicklungen und -chancen zu spät oder gar nicht. Wer sich aber nicht selbst erneuert, wird überrollt. Das ist das Schicksal von Grundig und anderen deutschen Traditionsunternehmen, -die es versäumt haben, rechtzeitig in neue Märkte einzusteigen.

Damit sich etwas ändert, müssen andere Grundvoraussetzungen geschaffen werden, die nicht erst bei Eliteuniversitäten anfangen, sondern schon im Kindergarten. Denn ohne interessierten, motivierten und gut ausgebildeten Nachwuchs gibt es keine Innovationsoffensive. Das alles bedeutet hohe Anlaufkosten, zahlt sich aber für die Zukunft aus. Wer wird diese Kosten aufbringen? Der Staat alleine kann das kaum leisten? Gibt es hier konkrete Pläne?

H.-J. Bullinger: Natürlich müssen wir die ganze Bildungskette reformieren, denn wir brauchen Spitzenkräfte auf allen Ebenen, vom Facharbeiter bis zum Professor. Dass Bildung vor der Schule beginnt, müssten wir Deutschen eigentlich wissen, wo wir doch den Kindergarten erfunden haben, der sich als weltweites Modell durchgesetzt hat. Jetzt machen uns allerdings andere Länder insbesondere die PISA-Sieger aus Nordeuropa – vor, wie Kinder am besten gefördert und für die moderne Welt vorbereitet werden. Dabei verfügt ein rohstoffarmes Land wie Deutschland nur über eine einzige Ressource: Motivierte und gut ausgebildete Fachkräfte. Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit eines Landes hängen entscheidend vom Potential hoch qualifizierter Arbeitskräfte ab. Deutschland steht im weltweiten Wettbewerb um die Besten schlecht da. Der eigene Nachwuchs wandert ab - vornehmlich in die USA, weil sich dort schnellere Aufstiegschancen und mehr Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Schon jetzt ist in den nächsten Jahren ein Fachkräftemangel absehbar. Insbesondere in den zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien werden Wissenschaftler und Ingenieure fehlen.

Keine Frage, wir müssen auch mehr in unser Bildungswesen investieren. Doch nicht allein der Staat, für die Zukunft unserer Kinder müssen wir alle die Verantwortung übernehmen. Qualität im Bildungswesen entsteht nicht allein durch mehr Geld, sondern durch Wettbewerb unterschiedlicher Konzepte. Der Staat sollte sich darauf beschränken, international anerkannte Standards vorzugeben, um die Leistung vergleichen zu können. Transparenz und Vergleichbarkeit erleichtert Schülern und Studenten letztlich auch die Wahl der Ausbildungsstätte.

Gerade dem Biotech und Life Science-Bereich steht die Bevölkerung oftmals entweder skeptich odet gleichgültig gegenüber. Im 9-Punkte-Programm der Innovationsoffensive lautet ein Punkt "...Verständnis und Begeisterung für Wissenschaft und Forschung zu wecken und die wechselseitige Verantwortung von »Wissenschaft und Gesellschaft stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken." Wie soll das umgesetzt werden?

H.-J. Bullinger: Im Prinzip müssen wir nur das noch intensiver und breitenwirksamer fortsetzen, was wir vor fünf Jahren mit den Initiativen "PUSH - Public Understanding of Science", "Wissenschaft im Dialog" und den "Jahren der Forschung" begonnen haben. Das "Jahr der Technik" setzt jetzt gerade mit vielfältigen Aktionen zum Endspurt an. Täglich finden irgendwo im Lande - von Leuna bis Landshut und von Husum bis Rust bei Freiburg - Veranstaltungen statt, die Jung und Alt Technik verstehen und erleben lassen. Das Ausstellungsschiff MS Technik fährt durch Deutschlands Wasserstraßen, das Tor zur Technik und der NanoTruck machen jede Woche woanders Station. Den Wissenschaftssommer auf dem Stuttgarter Schlossplatz wird eine 14 Meter lange und drei Meter hohe Knatter-Ratter-Ächz-Stöhn-Maschine mit lautem Scheppern, Tuten und Hahnenkrähen eröffnen. Diese Fantasiemaschine wurde von Schülern in einem bundesweiten Erfinderwettbewerb des Tigerenten-Clubs konzipiert und gebaut. Ich könnte noch viele Beispiele nennen wie etwa den Ideenpark auf Schalke, die zeigen, wie interessant Forschung und Technik präsentiert werden kann. Die Innovations-Initiative will durch eine Medienkampagne für nächstes Jahr diese Aktivitäten verstärken. Viele Menschen fühlen sich von dem beschleunigten technischen Wandel überrollt. Deshalb müssen wir Technik verstehbar und erlebbar machen, vor allem aber mit den Menschen sprechen. Nur im Dialog mit den Menschen können wir einen gesellschaftlichen Konsens über die erwünschten technischen Entwicklungen herstellen. Wenn es uns gelingt, die Menschen mitzunehmen, können wir die Chancen der Zukunft nutzen.

> Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. e. h. Dr. h. c mult.Hans-Jörg Bullinger
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft
Untemehmenspolitik und Forschung
> Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V, München
hans-joerg.bullinger@zv.fraunhofer.dechemanager@gitverlag.com

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