DIE WELT, 7.März 2006
Mißbildungen durch Erkältungsmittel?
Studie: Zusatzstoff Dibutylphthalat soll gesundheitsschädlich sein

                   Köln - Medikamente mit dem Zusatzstoff Dibutylphthalat (DBP) können laut einem ARD-Bericht schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen. DBP sei unter anderem in freiverkäuflichen, pflanzlichen Erkältungsmitteln enthalten, berichtete gestern das ARD-Magazin "Plusminus" in Köln. Die Weltgesundheitsorganisation (VMO) und die Europäische Union stufen DBP den Angaben zufolge als "frucht- und entwicklungsschädigend" ein.

DBP werde als Zusatzstoff in Medikamentenhüllen verwendet, damit sich die Inhaltsstoffe nicht schon im Magen, sondern erst im Darm auflösen. Nach Angaben von "Plusminus" sind in Deutschland insgesamt 51 Medikamente ' mit DBP zugelassen. Rund die Hälfte dieser Präparate ist frei verkäuflich. Dabei handele es sich unter anderem um Medikamente gegen Erkältungen, Bronchitis, Asthma, Schlafstörungen, erhöhte Cholesterinwerte und Eisenmangel.

Eine Untersuchungsreihe Von "Plusminus" und der Universität Erlangen habe DBP-Konzentrationen von im Schnitt um das 40fache über dem Grenzwert der Europäischen Lebensmittelbehörde ergeben. Bei dem Test wurden Urinproben von Personen untersucht, die wegen einer Erkältung die empfohlene Höchstdosierung von jeweils einem freiverkäuflichen, pflanzlichen Medikament eingenommen hatten. Im Fall einer 26jährigen Frau habe der gemessene Wert beim 63fachen des zugelassenen Grenzwert gelegen.

"Dies ist eine Größenordnung, bei der man mit Gesundheitsschäden rechnen muß", zitierte "Plusminus" den Erlanger Chemieprofessor Jürgen Angerer. Die von dem TV-Magazin vorgestellten Werte liegen deutlich über den Werten einer dänischen Studie, die bereits Mißbildungen der Geschlechtsorgane bei männlichen Neugeborenen gefunden habe.

DBP gehört zur Gruppe der Phtalate, die auch als Weichmacher bekannt sind. In Babyartikeln, Kosmetika und Spielzeug sei DBP verboten. Als Hilfsstoff in Medikamentenhüllen ist DBP jedoch weiterhin zugelassen. "Plusminus" will die Ergebnisse der Studie heute vorstellen und eine vollständige Liste der Präparate im Internet veröffentlichen. AP

 

Preiswertes Trinkwasser aus dem Meer
Neue Membrantechnik trennt Salz und Schadstoffe ab - Energieeinsatz geringer als bei Verdampfung
VON BRIGITTE RÖTHLEIN
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Algier - Sauberes Wasser ist Mangelware in der algerischen Hauptstadt; die Versorgung übernehmen meist Tankwagen. Denn hier fällt Regen selten und unregelmäßig, die Wasserleitungen sind teilweise verrottet. Im nächsten Jahr soll sich die Lage etwas entspannen. Dann nämlich wird die Meerwasser-Entsalzungsanlage Hamma in Betrieb gehen, die General Electric (GE) seit 2005 zusammen mit der algerischen Energiegesellschaft AEC baut. Sie wird ein Viertel der Stadtbewohner mit Trinkwasser versorgen.

Die Erdoberfläche besteht zwar zu 70 Prozent aus Wasser, aber noch nicht einmal ein Prozent davon ist als Trinkwasser geeignet. Der Rest ist entweder zu salzig oder verschmutzt. Meerwasserentsalzung ist eine Lösung: Mit Hilfe von neuartigen Membranen und der sogenannten Umkehrosmose ließe sich sauberes Wasser kostengünstiger herstellen als mit konventionellen Verdampfungsanlagen. Der Betrieb in Hamma soll 200 000 Kubikmeter Trinkwasser pro Tag aus Meerwasser produzieren und damit die größte Entsalzungsanlage mit Membrantechnologie in Afrika sein.

Umkehrosmose verwandelt Meer- oder Brackwasser in Frischwasser für Industrie und Landwirtschaft, und sogar in Trinkwasser. Dabei preßt man den vorgereinigten Wasserstrom unter hohem Druck durch eine Membran und trennt ihn in reines Wasser und eine Lösung, in der sich Salz und Schadstoffe konzentrieren. Die Technik ist in verschiedenen Größenordnungen einsetzbar. "Je größer die Anlage, desto energieeffizienter kann sie gebaut werden", sagt Claus Mertes, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Meerwasserentsalzung. "Bei großen Umkehrosmoseanlagen liegt der Energieverbrauch nur noch bei 3,5 bis 4 Kilowattstunden pro Kubikmeter Trinkwassers. Manche dieser Anlagen brauchen außerdem 25 Prozent weniger Platz als herkömmliche Entsalzungsanlagen.

"Das Hamma-Projekt ist ein Vorreiter für unser Umweltengagement", betont George Oliver, der Vorstandsvorsitzende von GE Infrastructure, Water & Process Technologies. Durch verbesserte Membranmaterialien und neuartige Konfigurationen aus Spiralmembranen sind Ablagerungs- und Verkeimungsprozesse, Temperatur, Säurewert und Verunreinigungen sehr viel besser in den Griff zu bekommen als bisher. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten der Brauchwasseraufbereitung, etwa auch mit mobilen Anlagen für Katastrophenfälle, zur Überbrückung von Versorgungsengpässen, aber auch bei langfristigem Wassermangel.

Die neue Membrantechnologie läßt sich jedoch auch bei der Herstellung von Getränken nutzen, ebenso wie bei der Ausfilterung schädlicher Chemikalien aus Industrieabwässern oder in der Milchindustrie. Molke, die bis dahin ein Abfallprodukt war, kann damit in Wasser und wertvolles Proteinpulver umgewandelt werden. Und last but not least gelang es durch den schnellen Einsatz mobiler Wasseraufbereitungseinheiten, Zehntausende von Tsunamiopfern in Indonesien mit sauberem Wasser zu versorgen.

 

WELT AM SONNTAG, 5.März 2006
Woher kam das CO2?
Wissenschaftler in der ganzen Welt streiten über eine gewagte These: Beeinflußt der Mensch das weltweite Klima durch Brandrodungen bereits seit der Steinzeit?
Von Axel Bojanwoski
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Tim FLANNERY hätte sein Buch doch besser etwas später herausbringen sollen. Das hätte dem renommierten australischen Wissenschaftsautoren eine Peinlichkeit erspart. Denn sein Band "Wir Wettermacher" (erschienen am 1. März im Verlag S. Fischer und zeitgleich in 20 anderen Ländern) fußt auf einer These, die zwar seit 2003 die Klimaforscher weltweit fasziniert hat, aber soeben widerlegt worden sein könnte.

Flannery schreibt, die Verbrennung von Holz und Kohle in der Steinzeit hätte die ersten Zivilisationen ermöglicht, denn die bei der Verbrennung verursachten Treibhausgase hätten die Menschen vor einer Eiszeit bewahrt. Er beruft sich dabei auf eine gut zwei Jahre alte Studie von William Ruddiman von der University of Virginia, wonach der Mensch bereits seit gut 8000 Jahren das weltweite Klima beeinflußt.

Zwei angesehene Klimaforscher zerpflücken die Theorie nun aber. Ruddimans Entdeckung, die er Ende 2003 auf einem Kongreß in San Francisco vorstellte, war damals eine Sensation: Eisbohrkerne, die die Luft vergangener Zeiten speichern, zeigten, daß vor 8000 Jahren etwas Seltsames passiert war. In dem Eis jenes Zeitalters waren deutlich mehr Kohlendioxid-Moleküle (CO2) gefunden worden als in älterem Eis. Vor 8000 Jahren war die Eiszeit zu Ende gegangen, die bis heute andauernde Warmzeit hatte begonnen. Ruddiman verglich die Daten mit jenen aus den drei anderen Warmzeiten in den letzten 300 000 Jahren. Die Daten glichen sich bis auf jenen Anstieg des CO2-Gehaltes. Ruddiman schloß daraus, der Mensch habe das CO2 erzeugt: Vor 8000 Jahren hatten die Menschen die Landwirtschaft erfunden und immer mehr Wälder abgebrannt, um Platz für Acker und Weiden zu schaffen. Dabei seien große Mengen des Treibhausgases CO2 freigesetzt worden. Ruddiman vermutet, daß der Mensch die Luft auf diese Weise seit der Steinzeit bis zum Jahr 1700 um 0,8 Grad erwärmt hat. Der Temperaturanstieg wäre größer als jener in den letzten 150 Jahren, der vermutlich etwa zur Hälfte von Abgasen aus Industrie und Autos verursacht wurde. Doch Ruddimans Theorie scheint nun widerlegt. "Der CO2-Anstieg vor 8000 Jahren hatte natürliche Ursachen und mit dem Menschen nichts zu tun", schreiben die beiden Klimaforscher Wallace Broekker von der Columbia University und Thomas Stocker von der Universität Bern im Fachblatt "Eos". Broecker und Stocker haben in einem Eisbohrkern die Lufteinschlüsse der viertletzten Warmzeit vor rund 400 000 Jahren untersucht. Und sie entdeckten auch zu Beginn jener Epoche einen ähnlichen CO2-Anstieg, wie ihn Ruddiman vor 8000 Jahren ausgemacht hat. Ein Beleg für die Natürlichkeit des Phänomens.

Daß die drei Warmzeiten danach diesen Anstieg nicht aufweisen, liege an rhythmischen Schwankungen der Erdachse, schreiben Broecker und Stocker: Die derzeitige Warmzeit dagegen sei am besten mit jener vor 400 000 Jahren vergleichbar. Denn die Erde hat alle 400 000 Jahre die gleiche Ausrichtung zur Sonne und damit ein ähnliches Klima. Das ergab die Analyse der Epica-Eisbohrung in der Antarktis vor knapp zwei Jahren, der bisher tiefsten und am weitesten zurück reichenden Eisbohrung. Den Anstieg des CO2 vor 800 Jahren führen Broecker und Stokker auf eine komplizierte Kettenreaktion zurück: Zunächst blühten nach der Eiszeit die Wälder und entzogen der Luft und den Meeren große Mengen CO2. In den Ozeanen bildete sich wenige Säure, weshalb weniger Kalkablagerungen am Meeresgrund gelöst wurden und erhalten blieben. Im Kalk gebundenes Karbonat wurde so dem Wasser entzogen. Die Verringerung des Karbonats im Meerwasser wiederum führte dazu, daß weniger Organismen mit Kalkschalen entstehen konnten. Für die Bildung einer Kalkschale benötigen Lebewesen aber nicht nur Karbonat, sondern auch CO2. Nachdem weniger Kalkschalen gebildet wurden, befand sich also mehr CO2 im Meer, das schließlich auch in die Luft gelangte.

Dieses Szenario ist zwar längst nicht so spektakulär wie jenes von Ruddiman. Vielleicht findet es dennoch Eingang in das Buch von Tim Flannery? Wenigstens in die zweite Auflage.

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