Mittelbayerische, 27.Juli 2005
Verunsichert
VON PAUL SPREE
nachrichten@donau.de

Die Krise der Rentenversicherung birgt vor allem für jüngere Erwerbstätige eine bittere Wahrheit: Die staatliche Sozialrente wird alsbald nicht mehr ausreichen, den gewohnten Lebensstandard zu sichern. Allenfalls deckt sie einen Grundbedarf. Wer im Herbst seines Lebens nicht auf Magerkost gehen will, muß privat vorsorgen.

Die klassische Form dafür ist die Lebensversicherung. Sie sichert die Angehörigen im frühen Todesfall ab, ist zugleich eine Kapitalanlage für den Erlebensfall. Leider sind die Erträge dieses jahrzehntelangen Sparprozesses für den Normalbürger nur schwer zu durchschauen. Besonders undurchsichtig ist die Berechnung der Überschußbeteiligung, die eine Versicherungspolice erst attraktiv macht. Hier rügte gestern das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber. Er müsse die Versicherer dazu zwingen, die Überschußbeteiligung klarer auszuweisen und nicht heimlich überhöhte finanzielle Polster zu Lasten der Kunden ansammeln.

Eine gesetzliche Präzisierung ist aber nicht so einfach, denn die Überschüsse hängen von mehreren Faktoren ab, die sich über die jahrzehntelange Laufzeit der Police ständig ändern. Da spielt das allgemeine Zinsniveau herein, Sterblichkeit und Lebenserwartung sowie Kostenentwicklung beim Versicherungsunternehmen. Alle Unternehmen brauchen finanzielle Polster, die sie auch in stillen Reserven ansammeln können, um Risiken abzufedern. Wieviel davon man schadlos an die Versicherten ausschütten kann, ist umstritten.

In den vergangenen Jahren sind Versicherer sogar in Krise und Pleite geraten, weil es ihnen an Risikovorsorge fehlte. Andererseits haben Versicherte einen Anspruch darauf, an Überschüssen angemessen beteiligt , zu werden. Schließlich werden sie aus ihren Spargroschen gebildet. Bei dieser Abwägung hat der Gesetzgeber freilich die Stabilität der Versicherungswirtschaft zu berücksichtigen. Auch diese dient dem Verbraucher. Denn was nützt die schönste Lebensversicherung mit hohen Überschüssen, wenn der Versicherer während der langen Laufzeit pleite macht.

Verfassungsgericht klopft Versicherungen auf die Finger
Karlsruhe stärkt Rechte der Verbraucher/ Mehr Transparenz angemahnt
VON WOLFGANG JANISCH, DPA

KARLSRUHE.
Mit dem Urteil zu Kapitallebensversicherungen hat das Bundesverfassungsgericht den Verbrauchern Bestand an kräftig den Rücken gestärkt. Doch was der Erfolg am Ende in barer Münze wert ist, dazu wagen auch Experten noch keine Prognose. Zwar können zumindest in Zukunft Millionen von Menschen, die per Lebensversicherung fürs Alter vorsorgen, wohl mit etwas höheren Ausschüttungen rechnen. Vor allem aber setzt Karlsruhe auf Transparenz und Kontrolle: Der Kunde muß durchschauen können, was die Versicherungsunternehmen mit seinen monatlichen Prämien anstellen.

Davor steht erst einmal ein Gesetzgebungsverfahren. Der Gesetzgeber hat bis Ende 2007 Zeit für eine Neuregelung; die Bundesregierung, die ohnehin an einer Reform des Versicherungsvertragsrechts arbeitet, kündigte gestern eine zügige Umsetzung des Urteils an. Ob freilich die schon laufenden Verträge in den Genuß des gestärkten Verbraucherschutzes kommen, bleibt dem - dann voraussichtlich neu zusammengesetzten - Bundestag überlassen.

In Zukunft dürften die Versicherten am Ende der Vertragslaufzeit von den Karlsruher Vorgaben zu den "stillen Reserven" profitieren. Dieser Teil des Unternehmensvermögens, der sich aus der Differenz zwischen Buch- und Marktwert beispielsweise von Kapitalanlagen oder Immobilien ergibt, fließt bisher gar nicht in die Berechnung der Überschüsse ein. Hier haben die Verfassungsrichter eine Korrektur angemahnt: Die Kunden müssen an diesen Reserven, soweit sie aus ihren Prämien gebildet worden sind, "angemessen" beteiligt werden.

Dennoch gilt, was Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier schon bei der mündlichen Verhandlung im Oktober des vergangenen Jahres gesagt hatte: Für den Einzelnen geht es wohl nicht um riesige Beträge. Zumal auch gewisse Reserven zulässig bleiben dürften, schon deshalb, weil sie den Unternehmen als Puffer gegen Kapitalmarktschwankungen dienen. Transparenz und Kontrolle: Das sind die Instrumente, mit denen Karlsruhe den Wettbewerb im Lebensversicherungswesen ankurbeln will. Denn der Verbraucher, der in Zeiten unsicherer Renten auf private Altersvorsorge setzt, ist in einer schwachen Position, wie Papier deutlich machte: Die Verträge seien "praktisch nicht verhandelbar" und der Ausstieg aus einem laufenden Vertrag sei "keine wirtschaftlich sinnvolle Option" - weil vor allem zu Beginn der Laufzeit die Ausschüttungen durch hohe Verwaltungskosten weitgehend auffressen werden.

Bessere Kontrolle
Ein besonderes Augenmerk richtet das Gericht auf die staatliche Kontrolle - mit folgendem Hintergedanken: Wenn der Staat seine Bürger zunehmend auf die private Altersvorsorge verweist, dann muß er im Gegenzug den Verbraucherschutz stärken. Bisher geht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zwar gegen grobe Mißstände im Versicherungswesen vor - doch weder sie noch die Zivilgerichte prüfen im Einzelnen, ob die Belange der Verbraucher bei der Berechnung der Überschüsse hinreichend gewahrt sind.

Zwar hält sich der Senat mit konkreten Vorgaben zurück, gibt dem Gesetzgeber aber zumindest ein paar Stichworte an die Hand: Größere Transparenz bei der Entwicklung der Überschüsse, mehr Informationen über Abschluß- und Verwaltungskosten, Aufklärung über vermögensmindernde "Querverrechnungen", leichterer Ausstieg aus Verträgen - das sind die groben Umrisse einer verfassungsgemäßen Reform.

95 Millionen Policen

Trotz jahrelanger Kritik von Verbraucherschützern haben die meisten Bundesbürger Geld in eine Kapitalbildende Lebensversicherung gesteckt. Gut jeder Zweite kann die Prämien aber nicht über die gesamte Laufzeit zahlen und muß den Vertrag vorzeitig mit Verlust kündigen. Ende vergangenen Jahres zählten die Assekuranzen 95 Millionen Lebensversicherungsverträge. Statistisch gesehen hat damit jeder Deutsche - vom Neugeborenen bis zum Greis mehr als eine Police. Allein 2004 unterzeichneten 11,8 Millionen Kunden eine neue Lebensversicherung. Das gigantische Plus von 36,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist dadurch zu erklären, daß viele Verbraucher vor dem Auslaufen der Steuerfreiheit noch schnell eine Police unterschrieben haben.

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