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Vorsicht!Arbeitslosengeld II

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Arbeitslosengeld II und Wohnen

  • Keiner muss umziehen - von wegen. Aufforderungen zum Umzug häufen sich. Aber nicht alle Drohungen und Kürzungen sind rechtmäßig. Neben der rechtlichen Beurteilung und den daraus folgenden Möglichkeiten, sich zu wehren, ist Wohnen auch ein kommunal- und gesellschaftspolitisches Thema! Ein Artikel von Anne Ames (Stand: 07.06.2005)

(Anne Ames, Empirische Sozialforschung und Erwachsenenbildung, http://www.sofeb.de/ )

Die Politiker-Beteuerungen aus dem vergangenen Jahr, dass kaum ein von Arbeitslosengeld II (Alg II) Betroffener wird umziehen müssen, waren offenbar die Druckerschwärze nicht wert, die zu ihrer Verbreitung aufgewendet wurde. Wie zu befürchten war, werden inzwischen immer mehr Alg-II-Beziehende von den Behörden aufgefordert, sich eine andere Wohnung zu suchen, weil die, in der sie wohnen, zu groß oder zu teuer sei. Noch schlimmer sind die Fälle, in denen von Anfang an nur die so genannten angemessenen Kosten übernommen werden.

1. Rechtswidrige Verweigerung der Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten

Etliche Landkreise und kreisfreien Städte, die das SGB II in Eigenregie umsetzen,  geährten und gewähren den Betroffenen bereits seit Januar nur die Kosten für Unterkunft und Heizung, die sie für angemessen halten. Sie verlangen damit von den Alg-II-Abhängigen, dass sie den Teil ihrer Wohnkosten, der die vermeintliche Angemessenheitsgrenze übersteigt, aus der Regelleistung zahlen. Die Regelleistung reicht aber ohnehin kaum zum Leben; in ihr ist offiziell auch kein Cent vorgesehen, um Wohn- und Heizkosten zu bestreiten.

Die Verweigerung der Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten wird von den Behörden wenn "überhaupt “ mit § 22 Abs. 1 Satz 1 begründet. Der Satz lautet: Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Dabei wird übergangen, dass diesem Satz ein weiterer folgt, in dem geregelt ist, was zu geschehen hat, wenn die tatsächlichen Wohnkosten nach Ansicht der Behörde nicht angemessen sind: Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf ... so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Dieser Satz bestimmt also zum einen, dass selbst dann, wenn unter Berücksichtigung der Besonderheit des Einzelfalls die Wohnkosten tatsächlich unangemessen hoch wären, sie dennoch übernommen werden müssen, bis es den Betroffenen möglich und zuzumuten ist, die Kosten zu reduzieren. Hierbei ist eine Frist von sechs Monaten im Gesetz nur als Regelfall genannt. Angesichts der Situation auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Alg-II-Abhängige besonders geringe Chancen haben, wird es viele Ausnahmen von der Regel geben müssen. Wer je in der Situation war, als einkommensschwacher Mensch ohne vorzeigbaren Arbeitsvertrag eine Wohnung "gar eine familiengerechte Wohnung “ suchen zu müssen, weiß, dass die Suche Jahre dauern kann und in der Regel nur durch einen glücklichen Zufall beendet wird.

2    Aufforderungen zum Umzug häufen sich

Aber auch dort, wo in den ersten Monaten nach Inkrafttreten des SGB II die tatsächlichen Kosten von Unterkunft und Heizung noch übernommen wurden, häufen sich inzwischen die Aufforderungen an die Betroffenen, innerhalb einer bestimmten Frist in eine billigere Wohnung umzuziehen. Auch hier wird die Aufforderung häufig mit der Ankündigung versehen, dass nach Ablauf der Frist nur noch die angemessenen Kosten übernommen werden.

2.1    Angemessenheit wird nach den alten Sozialhilfe-Richtlinien beurteilt

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Wohnkosten werden von den SGB II-Trägern überwiegend die bisherigen Sozialhilferichtlinien herangezogen. Ein solcher Maßstab aber berücksichtigt jedoch nicht, dass die Zahl der Alg-II-Abhängigen um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der bisherigen Sozialhilfe-Bezieher. War es bisher schon für Menschen, die mit Sozialhilfe auskommen mussten, sehr schwer, eine Wohnung zu finden, deren Miethöhe vom Amt akzeptiert wird, so wird das für das große und wachsende Heer der Alg-II-Betroffenen nahezu unmöglich werden. Es gibt in weiten Teilen Deutschland die vielen billigen und gleichzeitig bewohnbaren Wohnungen nicht, die hierfür notwendig wären.

2.2    Besonderheiten der Einzelfälle finden kaum Beachtung

Darüber hinaus nehmen die Aufforderungen zum Umzug, die an Alg-II-Bezieher ergehen, kaum Notiz davon, dass die Frage, welche Aufwendungen für die Unterkunft angemessen sind, nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen ist. Auch dies ist aber im zitierten zweiten Satz von § 22 Abs. 1 SGB II festgelegt. Die Formulierung der Besonderheit des Einzelfalls angemesse" lässt freilich Spielraum für Auseinandersetzung und Interpretation. Die hier vertretene Interpretation folgt aus einer Perspektive, die Menschen, die zur Sicherung ihres Daseins auf Alg II angewiesen sind, nicht auf ihre Funktion als Alg-II-Bezieher reduziert, sondern sie als Personen wahrnimmt, die in vielfältigen sozialen Beziehungen stehen und weit mehr Rollen als die des Hilfeempfängers ausfüllen.

Aus dieser Perspektive ist zu berücksichtigen, dass

  • , für Familien mit Kindern ein Umzug in vielen Fällen bedeuten würde, dass die Kinder die Schule wechseln müssen, den Platz im Schülerhort verlieren, sich von den Freunden in der Nachbarschaft trennen müssen usw.,
  • dass ein Vater oder eine Mutter, der/die von seinen/ihren Kindern getrennt lebt, aber mit ihnen Umgang pflegt, auch Platz braucht, um die Kinder beherbergen und mit ihnen ein normales Familienleben pflegen zu können,
  • dass auch Alg-II-Bezieher mit erwachsenen Kindern, die nicht mehr zu Hause leben, noch Platz brauchen, damit die Kinder die Eltern besuchen, sprich: nach Hause kommen können.

Leicht ließen sich weitere Beispiele für Lebenssituationen, die von der Frage nach der Angemessenheit der Wohnung unmittelbar berührt werden, finden.

2.2.1    Eine Wohnung ist mehr als eine Unterkunft

Solche Überlegungen verweisen darauf, dass eine Wohnung mehr ist als eine Unterkunft, also ein im Prinzip beliebig austauschbares Dach über dem Kopf. Die Wohnung und die unmittelbare Wohnumgebung sind ein zentraler Ort der persönlichen Lebensgestaltung. Der Mensch braucht seine Wohnung, um sich zurückziehen und erholen zu können, um sich selbst zu finden und um persöhnliche soziale Beziehungen zu pflegen. Dies gilt nicht nur für Menschen, die in engeren familiären Bindungen und Verpflichtungen leben, sondern ebenso für Alleinstehende. Auch ihre Wohnung darf nicht zur Verfügungsmasse staatlicher oder kommunaler Sparwünsche werden.

2.3    Wohnkosten künftig im Fokus der kommunalen Sparwünsche?

Die Gefahr, dass sich in der kommenden Zeit noch weit mehr Menschen auf behördlich verordnete Wohnungssuche begeben und (in Wohnungen, die sonst keiner will?) umziehen müssen, wächst jedoch angesichts der jüngsten politischen Verlautbarungen, wonach die Kommunen durch die Umsetzung des SGB II stärker als erwartet entlastet wurden, weil offenbar mehr ehemalige Sozialhilfebezieher/-innen als vorab kalkuliert nun als arbeitsfähig betrachtet werden und damit zu Alg-II-Beziehenden werden. Aus der unerwartet starken Entlastung der Kommunen ziehen Bundespolitiker den Schluss, Bundeszuschüsse an die Kommunen reduzieren zu können. Wenn dies realisiert wird, werden die Kommunen vermutlich nicht lange zögern, sich dadurch schadlos halten zu wollen, dass sie die von ihnen zu tragenden Wohnkosten der Alg-II-Bedürftigen nach Kräften zu drücken versuchen. Dass hinter Hartz IV immer noch das “ wenn auch noch nie glaubwürdig gewesene “ Politikerversprechen steht, Menschen bei der Suche nach Erwerbsarbeit zu unterstützen, nicht die Anükündigung, sie zu einem Heer von Wohnungssuchenden zu machen, wird dann kaum als Bremse wirken.

2.4    Umzugskosten bei verlangtem Umzug

In der Beratung von Alg-II-Betroffenen erfährt man nicht nur, dass an etlichen Orten in der Republik bereits seit Januar nur die sogenannten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung gezahlt wurden und dass immer mehr Menschen die Aufforderung erhalten, sich eine billigere Bleibe zu suchen. Neuerdings melden sich auch vermehrt Ratsuchende, die bereit sind, der behördlichen Umzugsaufforderung nachzukommen, vom zuständigen Amt jedoch die Auskunft erhielten, das Umzugskosten nicht übernommen würden. Dabei ist in dieser Frage das SBG II nun wirklich wieder eindeutig. Es bestimmt in § 22 Abs. 3: Wohnungsbeschaffungskosten sowie Mietkautionen und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. (Hervorhebung d.d.Verf.) Das "Soll" im zweiten Satz von Abs. 3 bedeutet, dass die Behörde die Zusicherung nur verweigern darf, wenn ein ganz ungewöhnlicher Einzelfall vorliegt. Dabei müsste die Behörde begründen, worin die Ungewöhnlichkeit dieses Falles liegt. Ob sich das zuständige Sozialgericht dieser Begründung anschließt, wäre dann im nächsten Schritt zu klären.

3    Was tun?

Sollten Sie einen Alg-II-Bescheid bekommen oder bekommen haben, in dem Ihre tatsächlichen Kosten der Unterkunft“ also Miete, Mietnebenkosten (ohne Haushaltsstrom und Kosten der Warmwasserbereitung) und Heizkosten nicht vollständig berücksichtigt sind, müssen Sie Widerspruch einlegen. Auch wenn Sie den Bescheid bereits länger als einen Monat haben, können Sie nach § 44 SGB X beim Sozialgericht noch seine Rücknahme beantragen. Denn in diesem Fall ist das Recht eindeutig unrichtig angewandt worden.

Für den Fall, dass Sie dazu aufgefordert wurden oder werden, die Kosten Ihrer Unterkunft zu senken und Ihnen für die Zukunft angedroht wird, dass nur noch die so genannten angemessenen Kosten übernommen würden, hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppe eine Reihe guter Tipps zusammengestellt, wie sie sich verhalten können. Sie können die Tipps als Pdf-Datei (33 kb) herunterladen. Interessant könnten für Sie auch die Widerspruchsvorlagen (Word-Datei, 30 kb) und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Word-Datei, 27 kb) der Koordinierungsstelle sein, mit denen Betroffene sich bereits gegen die Aufforderung, die Wohnkosten zu reduzieren wehren können.

Die individuelle Gegenwehr einzelner Betroffener wird jedoch vielerorts wenig daran ändern, dass Alg-II-Beziehenden auch noch der Verbleib in ihrer Wohnung streitig gemacht wird und/oder ihnen eine andauernde Wohnungssuche auferlegt wird. Dagegen hilft nur gemeinsam mit anderen dafür zu kämpfen, dass das Thema Wohnen als kommunalpolitisches Thema öffentlich diskutiert wird und die Betroffenen ihre Situation und ihre Interessen hierbei vertreten. Eine wichtige erste Forderung, die hierbei an die Kommunalpolitiker und die Behörden zu stellen ist, ist die Veröffentlichung der Richtlinien, nach denen sie derzeit die Angemessenheit der Unterkunftskosten beurteilen. Diese Kriterien müssen dahingehend überprüft werden, ob sie die aktuelle Situation auf dem örttlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen. Zudem muss darauf gedrängt werden, dass die Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten “ wie vom Gesetzgeber gefordert “ nach der Besonderheit des Einzelfalles zu erfolgen hat.

Erstellt von: senger
Zuletzt verändert: 06.07.2005 15:45

 

 


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